Herrschte bei den Olympischen Sommerspielen vor 14 Jahren in Peking noch Aufbruchstimmung, scheint es jetzt bei den Winterspielen eher Belagerungszustand zu sein – was nicht allein an der Corona-Pandemie liegt.
«Von Offenheit ist wenig zu spüren», findet ein europäischer Botschafter. «China schottet sich ab», beklagt der Diplomat in Peking. Schwer in der Defensive liefert sich die kommunistische Führung einen bitteren Streit mit den westlichen Demokratien: um Menschenrechtsverstöße, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, die Verfolgung von Minderheiten wie Uiguren und Tibeter oder das Säbelrasseln gegenüber dem freiheitlichen Taiwan.
Menschenrechtslage «katastrophal»
Mit Blick auf die Kontroversen hob Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping bei einem Treffen mit dem Präsidenten des Internationalen Komitees (IOC), Thomas Bach, in Pekings Staatsgästehaus hervor, die olympische Botschaft der «größeren Einigkeit» sei in der heutigen Zeit «nötiger denn je». Doch wieder wird laut nach einem Boykott gerufen – sportlich oder diplomatisch, indem zumindest keine Offiziellen anreisen. Wieder stehen die Sportlerinnen und Sportler hilflos zwischen den Fronten.
Gab es 2008 noch Hoffnungen auf politische Veränderungen, entpuppten sie sich seither als naives Wunschdenken. «Die Menschenrechtslage in China ist katastrophal», sagt Theresa Bergmann von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Seit den Spielen 2008 und insbesondere seit Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping 2013 habe sie sich «noch einmal deutlich verschlechtert».
Egal, wie man zum Boykott stehe: «Jetzt ist der Moment, um wirklich das volle Augenmerk auf die Menschenrechtslage zu legen und China auch entsprechend zu konfrontieren», sagt Bergmann mit Blick auf die Spiele vom 4. bis 20. Februar. «Da haben auch das Internationale Olympische Komitee und die nationalen Komitees eine besondere Verantwortung, eine klare Sprache zu wählen.»
Doch dafür ist IOC-Präsident Thomas Bach nicht bekannt. Was er in dem Konflikt um das Verschwinden des chinesischen Tennisstars Peng Shui als «stille Diplomatie» beschrieb, sah eher so aus, als wenn er das chinesische Spiel sogar noch mitspielte, den Fall unter den Tisch zu kehren, wie Kritiker meinten. Die 36-Jährige hatte einen chinesischen Spitzenpolitiker des sexuellen Übergriffs bezichtigt. Sie verschwand daraufhin und tauchte erst nach einem internationalen Aufschrei wieder auf. In gezwungen wirkenden öffentlichen Auftritten bestritt sie schließlich, Vorwürfe erhoben zu haben. Nach Videotelefonaten mit Peng Shuai tat der IOC-Chef auch so, als wenn alles in Ordnung sei.
Putin kommt zur Eröffnung
Markige Worte kommen eher von chinesischer Seite – allen voran den «Wolfskriegern», wie die Diplomaten gerühmt werden, die dem Westen sprachgewaltig die Stirn bieten. Den politischen Boykott der USA und anderer Länder kritisierte Pekings Außenamtssprecher Zhao Lijian als «eine Verhöhnung des olympischen Geistes» und «Angriff auf 1,4 Milliarden Chinesen». Immerhin kommen aber «Freunde» wie Russlands Präsident Wladimir Putin zur Eröffnung. Aus Deutschland reist niemand an. Schon wegen der Pandemie, heißt es diplomatisch, was andere Gründe aber nicht ausschließt.
Suchte das damals noch aufstrebende Entwicklungsland China 2008 seinen «rechtmäßigen Platz» in der globalen Ordnung, agiert China heute als zweitgrößte Wirtschaftsnation und neue Großmacht auf der Weltbühne. «China ist so groß und stark wie nie», sagt der europäische Botschafter. Die kurz nach Olympia 2008 ausgelöste Lehman-Pleite und folgende Weltfinanzkrise sowie der vielfach als unzureichend empfundene Umgang mit dem Coronavirus in anderen Ländern bestärke Chinas Führer nur in ihrem autoritären Herrschaftsmodell, das jetzt sogar als «Demokratie, die funktioniert», propagiert wird.
Sportler die Leidtragenden
Peking ist die erste Stadt, die sowohl Sommer- als auch Winterspiele ausrichtet. Der wachsende Unwille demokratischer Gesellschaften, die hohen Kosten auch für andere Sport-Großveranstaltungen zu schultern, ermutigte autokratische Systeme, die sie zum Ruhme ihrer Herrscher nur zu gerne austragen. In den Kontroversen sind die Sportler die Leidtragenden. Sie werden nicht gefragt, wem die Spiele zugeteilt werden, müssen sich aber für ihre Teilnahme rechtfertigen. Statt die Ausrichtung in Ländern wie China zu kritisieren, solle sich Deutschland doch besser selbst wieder um Spiele bemühen, verlautet aus der deutschen Sportpolitik.
Bei allen Kontroversen leidet der olympische Spaß. Wird China im Ausland zunehmend als repressiv wahrgenommen, verstärken seine restriktiven Corona-Maßnahmen bei den Spielen auch nur noch dieses Gefühl der Unfreiheit, Kontrolle und Überwachung. Sportler und Teilnehmer dürfen sich nur in hermetisch «geschlossenen Kreisläufen» bewegen, müssen sich in der «Blase» täglich testen lassen. Bei einer Infektion verlieren sie jede Selbstbestimmung, werden in Krankenhäuser oder Isolation gesteckt. China verfolgt eine strikte Null-Covid-Politik, die zwar bisher recht erfolgreich war, aber auch Null-Toleranz und extreme Maßnahmen bedeutet.
«Nicht der Sportler steht im Mittelpunkt wie noch bei den Spielen in Tokio, sondern ganz klar die Prävention», warnt der europäische Botschafter. «Historisch werden es die am stärksten kontrollierten Spiele.» Die Erfahrungen bei den internationalen Testwettbewerben im Vorfeld waren vielfach schon unerfreulich. «Alle waren froh, dass wir wieder weg waren – dass wir aus dem Gefängnis raus waren», gab der frühere Rennrodler und dreimalige Olympiasieger Georg Hackl die gedrückte Stimmung wieder.