Die Sache mit Leihspielern – Spielerberater: «Praxisfremd»

Bis zum Ende des Winter-Transferfensters am 31. Januar dürften solche Formulierungen weiter Konjunktur haben: Spieler XY braucht mehr Einsatzzeit, die wir ihm derzeit nicht bieten können.

Oder: Die Leihe ist zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Option für beide Seiten. Alle machen es in der Fußball-Bundesliga, alle machen es im internationalen Geschäft.

Spieler auszuleihen von anderen Clubs, die dort nicht zum Einsatz kommen, aber oft viel Geld kosten. Spieler verleihen, die im eigenen Kader eher nicht berücksichtig werden, aber durch einen befristeten Deal noch mal ein bisschen Geld in die Kasse bringen. «Wenn jemand mithalten will im Spiel der Großen, dann fängt er auch an, kreativ zu werden», sagt der renommierte deutsche Spielerberater Roger Wittmann (61) in einem dpa-Gespräch.

FC Chelsea führt derzeit 21 Leihspieler

Mancherorts sind sie halt nur ein bisschen zu kreativ aus Sicht des Weltverbandes FIFA. Der FC Chelsea beispielsweise führt – Stand Freitag – auf seiner Homepage unter Leihspielern 21 Profis auf. Darunter sage und schreibe allein drei Torhüter. Die sogenannte «loan army» des Clubs aus London ist schon seit Jahren legendär. Bei Atalanta Bergamo ist die Liste der ausgeliehenen Profis noch deutlich länger. Seit dieser Woche zählt auch der deutsche Nationalspieler Robin Gosens dazu, ausgeliehen an Inter Mailand mit Kaufoption nach dieser Saison.

60 Leihspieler oder so fände auch er übertrieben, meinte Wittmann, das sei konzeptlos. Dass die FIFA die Regeln für die Leihgeschäfte aber nun verschärfen will, missfällt dem Spielerberater gehörig, erst recht in den schwierigen Zeiten des Coronavirus. «Ich glaube, dass das völlig praxisfremd ist. Jeder Verein, der in Not gerät, gerade in Zeiten der Pandemie, muss machen können, was er will», sagte Wittmann, nicht ohne anzufügen, dass er nichts erkennen könne, das die FIFA jemals gut gemacht habe. «Das sind alles Dinge, die weltfremd sind.»

Im Detail will die FIFA vom 1. Juli an die Leihen zeitlich befristen und die Zahl der Spieler auch eingrenzen. Die Dauer muss dann mindestens den Zeitraum zwischen zwei Registrierungsperioden und darf maximal ein Jahr betragen. Ausgeliehene Profis dürfen nicht an Drittvereine weiterverliehen werden. Ein Club darf während einer Saison nur drei Spieler an einen bestimmten Verein ausleihen und die Gesamtzahl pro Saison soll bei jeweils acht ausge- und verliehenen Profis liegen. Ab dem 1. Juli 2024 wird des noch mal heruntergesetzt auf jeweils nur noch sechs Spieler. Profis bis 21 Jahre und Spieler, die ein Club selbst ausgebildet hat, fallen nicht unter die Regel.

Leihen bieten Chancen, aber auch Risiken

«Ich glaube, dass die Pandemie viele dazu zwingt, auf junge Spieler zu setzen, und dass das den jungen Spielern hilft. Dass man die Spieler verleiht, die kostenungünstiger sind und den jungen eine größere Chance gibt», sagte Wittmann. Alle Vereine würden versuchen, sich irgendwo freizuschaufeln insbesondere in der Pandemie. «Dann muss dieses Geschäft auch erlaubt sein.»

Ob das alles aber tatsächlich auch immer so gut für die Entwicklung von Spielern ist – es bleibt zumindest fraglich. Vorteile, woanders Spielpraxis sammeln zu können, sind evident. Nachteile, nicht richtig in einem Verein Fuß fassen zu können, sollten zumindest nicht unerwähnt bleiben.

Ein Beispiel dafür liefert auch die Bundesliga, die mit ihren insgesamt eher moderaten Zahlen an Leihspielern gar nicht so ganz schlimm getroffen werden dürfte von den verschärften Regeln. Beim 1. FC Union Berlin reifte Mittelstürmer Taiwo Awoniyi in dieser Saison zum Top-Torjäger. Er blüht auf in der Alten Försterei. Awoniyi ist heimisch geworden nach Jahren der Leih-Reiserei, seit er 2015 im August von Nigeria aus beim FC Liverpool anheuerte.

Die Reds liehen Awoniyi an den FSV Frankfurt, an NEC Nijmegen aus den Niederlanden, Royal Mouscron und KAA Gent, an den 1. FSV Mainz 05 und schließlich an die Unioner aus. Im vergangenen Sommer kauften die Eisernen dem FC Liverpool Awoniyi ab. «Ich freue mich, nach den vielen Leihstationen in den vergangenen Jahren nun endlich anzukommen und ein Zuhause zu haben», formulierte der Hauptbetroffene damals.

Von Jens Marx, dpa