Überwältigte Zweite: Frohnatur Althaus und ihre Serie

Nach einer kurzen Nacht und turbulenten Stunden hatte Frohnatur Katharina Althaus endgültig ihre Leichtigkeit zurück. Mit verhältnismäßig kleinen Augen und bunter Team-Deutschland-Maske saß die 25 Jahre alte Skispringerin auf dem Pressepodium und schwärmte über Olympia-Silber.

Verlorenes Gold? Verschenkte Chance? Betrug? Davon wollte Althaus nichts wissen. «Ich bin mega, mega glücklich und dankbar. Mir haben so viele Leute geschrieben. Auch wenn ich gestern kurz danach etwas enttäuscht war», sagte die Allgäuerin, die bei den Winterspielen von Peking ein kleines Stück Geschichte in ihrer Sportart schrieb. Keine Skispringerin vor ihr hat zwei olympische Einzelmedaillen gewonnen.

Gefühle im Gefrierschrank

Am Abend zuvor hatten Althaus die Ereignisse im mit bis zu minus 16 Grad kalten Gefrierschrank von Zhangjiakou kurzzeitig übermannt. Als die «2» nach ihrem finalen Sprung aufblinkte, sackte sie in sich zusammen und wirkte vollkommen überwältigt. «Ich habe mich irgendwie geärgert und gefreut gleichzeitig, und das war dann ein bisschen viel», gestand Althaus selbst ein.

Der kurzzeitige Frust entstand auch aus der Konstellation: Althaus war nach dem coronabedingten Ausfall von Österreichs Marita Kramer Goldfavoritin, führte nach dem ersten Durchgang und hat zudem noch keinen großen Einzeltitel geholt – dabei bleibt es vorerst, denn Gold holte Ursa Bogataj aus Slowenien. «Ich kann schon verstehen, dass sie kurz enttäuscht war, weil die Chance da war. Aber wir sind überglücklich, dass es für Silber gereicht hat», sagte Bundestrainer Maximilian Mechler.

Erleichterung nach tubulenten Stunden

Es folgten ein Interviewmarathon, eine Pressekonferenz im gerammelt vollen Mediensaal, TV-Auftritte und eine Überraschung des Teams, das sie bei der nächtlichen Rückkehr begrüßte und feierte. Am nächsten Morgen wirkte Althaus bei einer Medienrunde fast erleichtert, all das schon hinter sich zu haben. «Ich war froh, dass ich nur eine Frage in der Pressekonferenz hatte», sagte Althaus, die schon bei Olympia in Pyeongchang 2018 und der WM in Seefeld 2019 Silber holte. So viel Trubel wie am Samstag war die Leistungsträgerin aus Oberstdorf schon gar nicht mehr gewohnt.

Denn die Vor-Olympia-Zeit war diesmal coronabedingt auch eine einsame Phase. Althaus fiel dies besonders schwer. «Ich habe mich abgeschottet und meine Freunde nicht mehr getroffen. Das war für mich ziemlich hart. Ich bin ganz, ganz schlecht im Alleinesein», sagte die Skispringerin. Der natur- und heimatverbundene Familienmensch, stets gesellig und unterwegs, musste zurückstecken, um den Traum von Olympia in Peking nicht in Gefahr zu bringen.

Stolz auf die Silbermedaille

Althaus ist eine Pionierin, sie kämpft seit Jahren für mehr Gleichberechtigung der Frauen im Skispringen. Mit Erfolg: Bei der WM haben Männer und Frauen inzwischen das gleiche Programm, auch bei Olympia hat Althaus am Montag (12.45 Uhr/ZDF und Eurosport) im Mixed erstmals eine zweite Medaillenchance. Im Frühjahr 2020, als Corona den Sport stoppte, nähte Althaus Alltagsmasken und verteilt diese. «Ich habe richtig viel positives Feedback bekommen», erzählte sie. Das habe sie nicht gedacht, «weil ich einfach nur helfen wollte».

Man kauft Althaus ab, dass sie das Silber-Triple schnell auch für sich als den großen Erfolg umdeuten kann, der er zweifellos ist. Auf die Frage, ob sie die große Karrierekrönung verpasst habe, sagte sie: «Nee, ich glaube nicht. Ich habe eine Medaille gewonnen und bin mega stolz.» Natürlich gebe es ein «hätte, wäre, könnte», aber das helfe auch nicht weiter.

Auch an einer Diskussion, ob Bogatajs Goldtriumph rechtmäßig zustande gekommen war, wollten sich Althaus und Mechler nicht beteiligen. Der ehemalige Skisprung-Star Sven Hannawald hatte die Jury zuvor harsch kritisiert, weil Althaus bei schwierigen Bedingungen springen musste. «Wir sehen uns nicht als betrogen an», sagte Mechler. So sah es auch Althaus, die schon unmittelbar nach dem Wettbewerb klarstellte: Ich habe Silber gewonnen und nicht Gold verloren.

Von Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa