Unter dem Eindruck der dramatischen Bilder aus der Ukraine wird Russland auch im Weltsport zunehmend isoliert. Doch die großen Fußball-Verbände ringen trotz lautstarker Boykottdrohungen mit den für sie einschneidendsten Konsequenzen.
Der Weltverband FIFA und die Europäische Fußball-Union UEFA, die jahrelang die Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegten, verurteilten zwar die Invasion Russlands in die Ukraine, verbannten bislang aber weder russische Mannschaften noch russisches Geld aus ihren Wettbewerben. Der Druck steigt täglich.
Mit Weltfußballer Robert Lewandowski als eindringlichem Mahner kündigten der polnische sowie später auch der schwedische und der tschechische Fußball-Verband an, nicht zu den WM-Playoffs Ende März in Russland anzutreten. «Ich kann mir nicht vorstellen, in einem Monat auf den Platz zu gehen und zu vergessen, was passiert», sagte Bayern-Stürmer Lewandowski, der am Samstag in der Bundesliga aus Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung mit einer blau-gelben Kapitänsbinde spielte. «Wir wissen, was da passiert und dass die gesamte Welt das nicht akzeptiert. Wir müssen die Ukraine unterstützen.»
Verbände unter Druck
Die FIFA hatte sich zunächst in eine Beobachterrolle zurückgezogen und äußerte sich am Wochenende nicht – muss jetzt aber handeln. Russland hat in den bislang noch angesetzten Ausscheidungsspielen auf dem Weg zur umstrittenen Katar-WM keine Gegner mehr. Unter keinen Umständen werde gegen Russland gespielt, teilte der tschechische Verband mit. In den Playoffs sollte laut ursprünglichem Plan zunächst Polen in Russland antreten, der Sieger fünf Tage später zu Hause auf den Gewinner der Partie von Schweden gegen Tschechien treffen.
Der Frage, ob er den 2019 aus den Händen von Präsident Putin erhaltenen Freundschaftsorden zurückgeben werde, war Infantino ausgewichen. Der Weltverband wird sich entscheiden müssen, ob er den WM-Gastgeber von 2018 mit dem Ausschluss aus der WM-Qualifikation verprellt – oder mit der gegenteiligen Entscheidung die überwältigende Mehrheit der anderen Verbände.
Möglich in dieser Ausnahmesituation erscheint die Verlegung der Partie Russlands gegen Polen und des Finales um ein WM-Ticket auf einen späteren Zeitpunkt in diesem Jahr, die WM beginnt am 21. November. Der französische Verbandschef Noël Le Graët brachte am Sonntag aber als erster ranghoher Funktionär auch den Ausschluss Russlands aus dem Wettbewerb ins Gespräch. «Das ist mein erster Impuls» sagte der 80-Jährige, der im FIFA-Council sitzt, der Zeitung «Le Parisien». «Einem Ausschluss Russlands werde ich sicher nicht widersprechen.»
Die Europäische Fußball-Union, die St. Petersburg bereits das Endspiel der Champions League entzogen hatte, kündigte am Wochenende weitere Notfallsitzungen ihres Exekutivkomitees an. Wichtigster und wohl auch einflussreichster Geldgeber ist weiterhin der in Europa höchst umstrittene russische Energieriese Gazprom, dessen Rolle beim Zweitligisten FC Schalke 04 auch in Deutschland prominent spielt.
«Schmutziges Geld»
«Das ist jetzt schmutziges Geld. Da muss man ganz klar sagen, in jeder Richtung, das darf es nicht mehr geben, das dürfen wir nicht mehr annehmen», sagte DFB-Interimspräsident Hans-Joachim Watzke im ZDF-«Sportstudio». In England sorgte am Samstagabend die Mitteilung des FC Chelsea für Aufsehen, dass der russische Eigentümer Roman Abramowitsch die Verwaltung die Treuhänder der wohltätigen Stiftung abgibt. Ein Schachzug angesichts drohender Sanktionen?
Schalke spielte am Wochenende bereits ohne den Gazprom-Schriftzug auf den Trikots. Watze, auch Geschäftsführer des Gelsenkirchener Revierrivalen Borussia Dortmund, regte finanzielle Hilfen an, sollten sich die Königsblauen endgültig von Gazprom trennen. DFB-Präsidentschaftskandidat Peter Peters, einst auf Schalke für den Gazprom-Deal verantwortlich, äußerte: «Die Dinge haben sich so massiv verändert. Es kann nicht so weitergehen.» In der Frage, ob auch russische Mannschaften aus den Fußball-Wettbewerben ausgeschlossen werden müssten, waren sich Watzke und Peters uneins. «Da trifft man letztendlich den Club, nicht den Staat», sagte Watzke.
Kleinere Verbände beantworteten die Frage für sich. Der Judo-Weltverband suspendierte Putin als Ehrenpräsident und Botschafter der Sportart. Putin ist selbst Träger des Schwarzen Gürtels. Der Biathlon-Weltverband IBU beschloss, dass Biathletinnen und Biathleten aus Russland und Belarus bei den verbleibenden Weltcups in diesem Winter unter neutraler Flagge antreten müssen. Die russische Hymne wird nicht mehr gespielt. Der russische Biathlon-Verband RBU reagierte erwartbar verärgert und kündigte an, in diesem Winter nicht mehr anzutreten: «Dies ist eine direkte Diskriminierung unseres Landes und russischer Athleten.»
Klare Forderungen der Athleten
Im Skispringen und Turnen gelten ähnliche Regeln. Der Deutsche Fechter-Bund kündigten an, die Athletinnen vom Damendegen-Weltcup in Sotschi zurückzuholen. Der Volleyball-Weltverband FIVB stellt Russland als Ausrichter der WM im August und September auf den Prüfstand.
Der Vereinigung Athleten Deutschland geht das nicht weit genug. «Der internationale und nationale Sport muss jetzt alle Möglichkeiten ausschöpfen und geschlossen Sanktionen mit voller Härte aussprechen, um seinen Werten treu und glaubwürdig zu bleiben», hieß es in einer am Samstagabend veröffentlichten Mitteilung.
Die Interessensvertretung deutscher Spitzensportler will etwa, dass Verbände aus Russland und Belarus komplett aus dem Sporverbandssystem ausgeschlossen, alle Beziehungen zu russischen Geldgebern abgebrochen, Funktionäre aus beiden Ländern ausgeschlossen und Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus während des Krieges nicht mehr an internationalen Wettbewerben teilnehmen dürfen.
«Der russische Angriffskrieg lässt keine andere Wahl, als dass Sanktionen auch unschuldigen Dritten Schaden zufügen», hieß es. Ähnliche Forderungen stellte auch der norwegische Sportverband. «Russlands Angriffe auf das ukrainische Volk und Verstöße gegen das Völkerrecht erfordern internationale Verurteilung und Sanktionen», hieß es vom Nationalen Olympischen Komitee Norwegens in einer Stellungnahme. Ein Ausschluss der Aktiven aus Russland und Belarus außerhalb ihrer Heimatländer sei «die klare Meinung» des Verbandes.