GP in Saudi-Arabien: Sport zwischen Moral und Millionen

Die Frage nach den Massen-Hinrichtungen im nächsten Gastgeberland pariert der Formel-1-Chef mit bewährter Routine.

«Die Nachrichten sind natürlich ziemlich alarmierend. Ich glaube fest daran, dass der Sport die Menschenrechte ins Zentrum stellen sollte, wie auch das Land, in das wir gehen», beteuert Stefano Domenicali vor dem Rennen in Saudi-Arabien. Weiterfahren heißt dennoch die Devise für die Rennserie, auch wenn das Königreich gerade erst binnen eines einzigen Tages 81 Menschen hingerichtet hat.

Der Umgang der Formel 1 mit Saudi-Arabien, das am Sonntag in Dschidda zum zweiten Mal einen Grand Prix erlebt, steht stellvertretend für das Dilemma des Sports. Auf der Suche nach frischem Geld und neuen Märkten haben sich Sportbetrieb und Rechte-Inhaber längst reihenweise auch an zweifelhafte Partner gebunden. «In einer idealen Welt passen die eigenen Werte mit denen der Investoren und sponsernden Marken zusammen, in der Realität spielt aber eben auch der Finanzbedarf eine gewichtige Rolle», sagt Mathias Bernhardt, Geschäftsführer beim Forschungs- und Beratungsunternehmen Nielsen Sports.

Russland-Deal aufgekündigt

Olympia in Peking, die Fußball-Weltmeisterschaften in Russland und Katar, der Einstieg des saudischen Staatsfonds bei Newcastle United – bei der Auswahl von Gastgebern und Finanziers sind im Sport Moral und Menschenrechte nicht immer die Gewinner. «Was aber auch klar ist, dass alle am Ende mehr Geld brauchen, um das Entertainment zu finanzieren, das die Fans eben auch sehen wollen», erklärt Experte Bernhardt die heikle Motivlage.

Den lukrativen Deal mit Russland hat die Formel 1 unter dem Druck des Ukraine-Krieges und der harten Sanktionen aufgekündigt. Weder dieses Jahr in Sotschi noch wie eigentlich vereinbart ab 2023 in Wladimir Putins Heimat St. Petersburg wird die Rennserie fahren. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass auch Saudi-Arabien seit Jahren einen Krieg im Jemen führt. Dieser hat eine der schlimmsten aktuellen humanitären Katastrophen ausgelöst.

Kurz vor dem Grand Prix griffen jemenitische Huthi-Rebellen mehrere Ziele in Saudi-Arabien an, darunter eine Anlage von Aramco nahe Dschidda. Der Ölkonzern ist einer der größten Geldgeber der Formel 1. Bei Sebastian Vettels Team Aston Martin tritt der Energieriese, der weitgehend im staatlichen Besitz ist, als Titelsponsor auf.

«Man kann ganz klar an der Entwicklung der letzten Jahre sehen, dass gerade Staaten aus dem arabischen Raum das nicht nur als Sportengagement, sondern als politische Strategie verstehen. Sie wollen sich über das positiv besetzte Thema Sport, die Emotionen, die Fans ein positiveres Image verschaffen», sagt Fachmann Bernhardt.

Auch gute Geschäfte mit dem Fußball

Saudi-Arabien gab vor drei Monaten als vierter Gastgeber in dieser Weltregion sein Formel-1-Debüt. Auch Abu Dhabi, Bahrain und Katar haben langfristige Verträge mit der Rennserie geschlossen. Auch diesen Ländern werfen Organisationen wie Amnesty International Verstöße gegen die Menschenrechte, die Unterdrückung Oppositioneller und die Einschränkung der Meinungsfreiheit vor.

Aber auch König Fußball macht hier gute Geschäfte. Abu Dhabi hat mit seinen Investitionen Manchester City laut Berechnungen der Beratungsgesellschaft Deloitte zum umsatzstärksten Club Europas gemacht. Katar leistet sich seit Jahren das Star-Ensemble von Paris Saint-Germain und lädt im Winter zur Wüsten-WM. Mit saudischem Geld will nun auch Newcastle United nach dürren Jahren in der Premier League wieder durchstarten.

Mit seinem Reformprogramm «Vision 2030» will sich Saudi-Arabien bis zu jenem Jahr unabhängiger machen vom Öl – auch durch Investitionen im Ausland und eben im Sport. Die Formel 1 kassiert angeblich für zehn Jahre 900 Millionen US-Dollar Antrittsprämie. Human Rights Watch kritisiert Engagements wie dieses scharf: «Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit immer wieder prominente Persönlichkeiten und internationale Großveranstaltungen genutzt, um von seinen weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen abzulenken.»

Top-Sportereignisse als Türöffner

Saudi-Arabiens Sportminister hält dieses Bild seines Landes für verfälscht. Das islamisch-konservative Königreich wolle sich zu einer besseren Gesellschaft entwickeln, betont Prinz Abdulaziz Bin Turki Al-Faisal. «Wir sind nicht perfekt, aber das ist niemand. Wir bewegen uns in die richtige Richtung», sagt er. Top-Sportereignisse würden dem Land auf seinem Weg der Öffnung helfen, lässt der Minister vor dem Rennen wissen.

Sportfunktionäre ihrerseits kontern Kritik oft mit dem Verweis, dass der Sport unpolitisch sei. Formel-1-Geschäftsführer Domenicali versichert zudem: «Der Fakt, dass wir vor Ort sind, richtet das Scheinwerferlicht auf Themen, die sonst an anderer Stelle in den Nachrichten auftauchen würden.»

Rekord-Weltmeister Lewis Hamilton drängt seine Fahrerkollegen, ihre Reichweite bei Fans zu nutzen, um auf Missstände hinzuweisen. «Es muss unsere Priorität sein, gemeinsam Druck für einen langanhaltenden Wandel zu machen», sagt der Mercedes-Pilot. Wie so oft bleibt nur die Frage, inwiefern diese Stimmen das Motorengetöse in Dschidda übertönen können.

Von Christian Hollmann, dpa