Während Chemo: Paralympicssiegerin Semechin mit Comeback

Auf Elena Semechins Wunschliste stehen schon ein Trip nach Lissabon, das legendäre Burning-Man-Festival in Nevada, ein Fallschirmsprung, der Tauchschein und irgendwann auch Kinder.

Doch das kann noch ein bisschen warten, denn inmitten ihrer einjährigen Chemotherapie hat die Schwimm-Paralympicssiegerin ihr sportliches Comeback gegeben. «Es war mein erster Wettkampf in meinem neuen Leben und es hat sich angefühlt wie mein erster überhaupt. Und ich habe es noch nicht verlernt», sagt die 28-Jährige, der Anfang vergangenen November ein Gehirntumor entfernt worden war, der Deutschen Presse-Agentur.

Starkes Rennen in Berlin

Bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft in Berlin wurde sie auf ihrer Paradestrecke 100 Meter Brust in 1:18,54 Minuten in der nationalen Wertung Zweite. «Auf der zweiten Bahn hatte ich zwar keine Kraft mehr, aber ich reize Dinge gerne aus», sagt die sehbehinderte Schwimmerin zu ihrem ersten Wettkampf 212 Tage nach ihrem Triumph von Tokio. Im Vorlauf war sie am Donnerstag sogar 1:16,84 Minuten geschwommen und lag damit nur drei Sekunden über ihrer Tokio-Zeit. Sie überwand dabei auch Ängste, denn es hätte «auch schiefgehen können. Aber ich wollte der Wahrheit ins Gesicht gucken.» Am Samstag will sie, wenn es ihre Kräfte zulassen, auch noch über die 50 Meter Brust starten.

Im vergangenen Oktober wurde bei Semechin, die unter ihrem Mädchennamen Krawzow neun Wochen zuvor in Japan Gold holte, ein Gehirntumor festgestellt. Am 3. November folgte die schwere Operation. Nach einer sechswöchigen Strahlentherapie, die Ende Dezember begann, startete Ende Februar ihre Chemotherapie. Erst am vergangenen Sonntag endete der zweite Zyklus. Und der hat sie, anders als der erste, richtig umgehauen.

«Es war so, wie man sich so eine Scheiß-Chemo vorstellt, es ging gar nichts. Da war es auch vom Kopf her schwer, wie soll ich das noch zehnmal durchhalten?», erzählt Deutschlands Para-Sportlerin des Jahres. Doch sie kämpft, will dem Krebs nicht zu viel Raum geben. Die Chemo, bei der sie an fünf Tagen des Monats Tabletten nimmt, endet im Februar 2023. «Ich weiß, was auf mich zukommt. Da muss ich durch.»

Ihr großes Ziel ist ein Start bei den Weltmeisterschaften auf Madeira vom 12. bis 18. Juni. «Die WM als Ziel gibt mir ganz viel Halt und lenkt mich ab. Ich denke nicht mehr so viel über den Krebs nach», sagt Semechin, die wegen der schleichend einsetzenden Erbkrankheit Morbus Stargardt nur noch zu gut zwei Prozent sehen kann.

Paris 2024 als sportliches Ziel

Die Berlinerin weiß, dass der Tumor laut Ärzten wohl in zehn bis 15 Jahren wieder zurückkommt. «Da ist mir richtig bewusst geworden, dass ich gar nicht so alt werde», sagt Semechin und versucht, aus der schlimmen Diagnose überwiegend Positives zu ziehen. «Ich muss im Jetzt leben und kann Dinge nicht auf später verschieben. Ich bin viel gelassener geworden, genieße jeden Tag und lebe trotzdem sehr glücklich.»

Bis 2024 in Paris will sie noch weitermachen. «Danach gucken wir mal. Dann wäre auch die Zeit, wo der Körper von der Chemo entgiftet ist und wo man auch Kinder kriegen könnte. Das würde ich dann versuchen», sagt Semechin. Bis dahin hakt sie sicher noch den einen oder anderen Punkt ihrer Wunschliste ab.

Von Sandra Degenhardt, dpa