Kimmichs DFB-Comeback: Flicks intaktes Vertrauen in den Chef-Sechser

Nach der kurzen Radel-Tour vom Quartier zum Trainingsplatz hatte Joshua Kimmich ganz schnell einen Ball am Fuß.

Der Bayern-Profi brennt auf sein DFB-Comeback, nachdem er zuletzt im Oktober 2021 in Skopje beim 4:0 gegen Nordmazedonien mitgespielt hatte. Den vertrauten Platz im Zentrum des deutschen Spiels nimmt der Rückkehrer in der Vorbereitung der Fußball-Nationalmannschaft auf die Nations League gewohnt chefmäßig ein – lautstark, gestenreich, ehrgeizig. Kurzum: sehr präsent.

Chaos, Kinder, Comeback?

Acht Monate war der 27 Jahre alte Münchner weg. Im vergangenen Corona-Winter wurde Kimmich zur zentralen Figur einer aufgeheizten nationalen Impfdebatte. Und zuletzt im März verpasste er die ersten Länderspiele im WM-Jahr wegen der Geburt seines dritten Kindes.

Doch jetzt steht der Dauerbrenner an diesem Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Bologna gegen Europameister Italien vor der Rückkehr ins DFB-Team. Es wird das 65. Länderspiel sein. Hansi Flick ist glücklich, dass Kimmich als Fixpunkt zurück ist. Und der Bundestrainer lässt gute fünf Monate vor der WM keine Zweifel aufkommen, auf welcher Position er mit Kimmich für Katar plant: «Ich sehe Jo Kimmich auf der Sechs. Das wird bei uns so sein. Ich sehe ihn bei uns nicht auf der Außenverteidigerposition.»

Einen Freifahrtschein stellt Flick seiner Führungskraft aber nicht aus. Ebenso wenig wie Bayern-Kollege Leon Goretzka, Kimmichs logischem Partner in der Zentrale. «Gerade die mittlere Achse ist gut besetzt», betont Flick immer wieder mit dem Verweis auf Youngster Jamal Musiala (19) und Routinier Ilkay Gündogan (31).

Bei den Positionskämpfen wird sich nicht geschont. So verriet Goretzka, dass es im Adi-Dassler-Stadion auch mal heftiger zur Sache geht, wenn keiner mehr beim Training zuschauen darf. «Ein Zweikampf mit Joshua war extrem intensiv, wo es richtig rund ging», schilderte Goretzka begeistert: «Das sind Dinge, die schweißen noch mehr zusammen. Das ist genau der Spirit, den Hansi bei uns sehen will.»

Flick vertraut Kimmich

Flicks Haltung zum Fußballer und Menschen Kimmich hat sich durch die Corona-Problematik und die Impfdebatte um den lange zögerlichen Profi nicht verändert. Im November zählte Kimmich zu jenen Akteuren, die nach einem positiven Corona-Test des Teamkollegen Niklas Süle als ungeschützte Kontaktpersonen das DFB-Quartier verlassen mussten.

«Das Vertrauensverhältnis zwischen Hansi und Josh ist sehr groß», sagte Führungsspieler Thomas Müller zu möglichen Nachwirkungen dieser Zeit in der Trainer-Spieler-Beziehung. Kimmich bleibt Flicks Abteilungsleiter Mittelfeld. Kapitän Manuel Neuer erläutert, warum: «Joshua ist ein wichtiger Spieler, weil er eine Position bestückt, die entscheidend ist. Im Zentrum des Mittelfeldes gilt es abzuwägen, mache ich das Spiel schnell, mache ich es langsam. Dort versucht man, strategisch vorzugehen, auch mit viel Sprechen.»

Der Torwart ergänzt: «Es ist wichtig, dass wir gerade in der Achse Spieler haben, die Verantwortung übernehmen.» Kimmich ist auf dem Platz einer der wenigen lauten Akteure im DFB-Kader neben dem nie zu überhörenden Müller. Und Kimmich ist bekannt für seinen Ehrgeiz, der bisweilen übertrieben wirkt, der die Mitspieler bisweilen auch nervt.

Unzufriedenheit und steigender Druck

Kimmich weiß aber auch, dass er eine Saison hinter sich hat, die den eigenen Ambitionen nicht gerecht geworden ist. «Wenn man mit dem Anspruch startet, das Triple zu gewinnen und dann in der zweiten Runde des DFB-Pokals ausscheidet und im Viertelfinale der Champions League, dann ist es nicht so, dass man nah dran war», sagte er zum Jahr mit dem FC Bayern. Nur der nächste Meistertitel sprang heraus.

Auch über Kimmich selbst wurde viel geredet. Nach einer Covid-Erkrankung fiel er wegen der Nachwirkungen längere Zeit aus. In Topform präsentierte er sich danach 2022 nur selten. Seine Eignung als Sechser wurde von Experten hinterfragt. «Prinzipiell habe ich immer einen sehr hohen Anspruch an mich selbst. Ich weiß, dass das sicherlich nicht meine beste Saison war, speziell in der Rückrunde», befand Kimmich.

Kimmich ist Mitglied der «Generation ’95» um Goretzka, Süle und Serge Gnabry. Es soll die nächste deutsche Weltmeister-Generation sein. Die Realität sieht bislang anders aus. «Seitdem ‚wir‘ am Werk sind, haben wir es einfach nicht geschafft», äußerte Kimmich im DFB-Journal dazu. Verkorkste WM 2018, missglückte EM 2021. Kimmich schlussfolgert: «Der Druck, etwas zu gewinnen, nimmt mit jedem Turnier zu.»

Katar könnte schon zum Turnier der Wahrheit für den Anführer der Mittzwanziger-Generation werden. Müller traut Kimmich viel zu: «Josh ist ein ganz wichtiger Baustein beim DFB.» Aber gerade für Führungsspieler wie Kimmich oder auch ihn gelte: «Wir müssen uns in jedem Spiel auf dem Platz wieder in den Vordergrund spielen.» Gegen Italien, England und Ungarn kann Kimmich damit wieder beginnen.

Von Klaus Bergmann und Jan Mies, dpa