Mit der deutschen Fahne über den Köpfen schrien die deutschen Sprinterinnen mit einem lauten «Jaahh!» ihre überschäumende Freude erleichtert heraus.
Gerade als Julian Weber im Speerwerfen die erhoffte erste Medaille für das deutsche Leichtathletik-Team endgültig aus den Händen glitt, raste die Sprintstaffel in Eugene überraschend zu Bronze – und erlöste nach einer oft bitteren WM-Woche am vorletzten Wettkampftag auch den in Erklärungsnot geratenen deutschen Verband.
Die Begeisterung und Emotionen von Tatjana Pinto, Alexandra Burghardt, Gina Lückenkemper und Rebekka Haase nach Rang drei hinter den USA und Jamaika konnte Weber nur wenige Meter entfernt im letzten Versuch aber nicht für sich nutzen. Er blieb wie schon bei den Olympischen Spielen in Tokio Vierter und war danach tieftraurig.
«Endlich, endlich!»
Die Sprinterinnen schlugen derweil nach den vielen deutschen Enttäuschungen im US-Bundesstaat Oregon im Ziel immer wieder ungläubig die Hände vor die Gesichter und lagen sich dann freudetrunken in den Armen. Bei der Siegerehrung strahlte das Quartett auf dem Podest und präsentierte stolz die Bronzemedaillen. «Wir haben im Vorfeld die ganze Zeit vom Glück der Tüchtigen gesprochen, und heute war es endlich mal mit uns», sagte Deutschlands beste Sprinterin Gina Lückenkemper. «Endlich, endlich!», fügte die EM-Zweite von 2018 im ZDF geradezu beschwörend an.
«Es fühlt sich an wie ein Traum gerade, ich hoffe, ich wache nicht auf», sagte Pinto. Nach acht trostlosen Tagen für die deutschen Athletinnen und Athleten mit nur einem Top-Acht-Resultat rauschte die Staffel über 4×100 Meter nach 42,03 Sekunden ins Ziel. Gold ging in 41,14 Sekunden überraschend an die US-Auswahl, die 0,04 Sekunden vor Jamaika um die 100-Meter-Weltmeisterin Shelly-Ann Fraser-Pryce und 200-Meter-Weltmeisterin Shericka Jackson ins Ziel kam. Dann folgte schon das deutsche Quartett – auch weil sich die britische Top-Läuferin und WM-Vierte Dina Asher-Smith direkt neben Lückenkemper laufend in der Zielkurve verletzte.
«Wir haben’s uns so oft gewünscht, und heute haben’s wir einfach mal gemacht und hatten auch ein bissel Glück. Das braucht man einfach», kommentierte Burghardt den Erfolg. Sie hatte bei den Olympischen Winterspielen in Peking als Anschieberin im Bob im Februar Silber gewonnen und meinte vor der anstehenden EM in München: «Jetzt fehlt noch Gold.» In der bayerischen Landeshauptstadt geht es vom 15. bis 21. August um Edelmetall. Schlussläuferin Haase hatte Platz drei auf der Zielgeraden abgesichert und war danach besonders emotional. «Wir sind unfassbar stolz. Wir haben sieben Jahre zusammen für diese Medaille gekämpft», sagte Haase.
Lange Durststrecke beendet
Für eine deutsche 4×100-Meter-Staffel war es die erste Medaille seit Bronze bei der WM 2009 in Berlin. Damals waren Marion Wagner, Anne Cibis, Cathleen Tschirch und Verena Sailer hinter Jamaika und den Bahamas ins Ziel gekommen. Vor einem Jahr hatte es bei den Olympischen Spielen in Tokio in der gleichen Besetzung wie nun in den USA immerhin zu Rang fünf gereicht. «Wir sind so oft Vierte und Fünfte geworden. Wir waren im Flow. Es ist ein Traum, dass das so ausgegangen ist», sagte Burghardt. Lückenkemper betonte mit Blick auf die Heim-Europameisterschaften, mit dieser Staffel sei alles möglich.
«Die Medaille ist eine Sensation. Den Männern hätte man das eigentlich zugetraut. Das ist der Ruck, den wir gebraucht haben», sagte DLV-Präsident Jürgen Kessing der Deutschen Presse-Agentur.
Luft bei Weber nach erstem Wurf raus
Für Speerwerfer Weber allerdings reichte dieser Ruck nicht mehr. «Ich freue mich für die Mädels, die so ein geiles Rennen gemacht haben und eine Medaille geholt haben. Das ist mega. Das hat mich auch gepusht, aber ich konnte die Energie nicht so mitnehmen», sagte er. Mit dem ersten Wurf war er auf 86,86 Meter gekommen, konnte sich aber nicht mehr verbessern und wurde noch aus den Medaillenrängen verdrängt.
«Nach dem ersten Wurf war die Luft einfach raus und ich habe mich dann klein gemacht. Ich habe nicht die Power gehabt», berichtete der 27-Jährige aus Mainz. «Jetzt ist die Enttäuschung da, wieder nur den vierten Platz erreicht zu haben. Ich hätte lieber den fünften gehabt.» Schwacher Trost: Im erfolgreichen Titelverteidiger Anderson Peters aus Grenada (90,54 Meter), Olympiasieger Neeraj Chopra aus Indien (88,13) und dem Olympia-Zweiten Jakub Vadlejch (88,09) aus Tschechien waren drei Top-Werfer besser als der deutsche Meister.