Als sein Premieren-Sieg auf der ATP-Tour nach spannenden knapp drei Stunden feststand, legte sich Lorenzo Musetti rücklings auf den Sand und fasste sich an den Kopf.
Der 20 Jahre alte Außenseiter aus Italien schien es nicht fassen zu können, dass er sich in dem an Spannung kaum zu übertreffenden Finale der European Open nach harten Kampf 6:4, 6:7 (6:8), 6:4 gegen den Top-Favoriten Carlos Alcaraz (Spanien) durchgesetzt hatte. Den Sieg bei seinem ersten Tennis-Auftritt am Hamburger Rothenbaum widmete Musetti seiner Großmutter.
Musetti: «Das ist ein großer Moment für mich»
Der Weltranglisten-Sechste Alcaraz, ebenfalls zum ersten Mal in der Hansestadt dabei, verpasste vor 7500 Fans bei Temperaturen um die 30 Grad dagegen den von ihm angestrebten sechsten Coup auf der ATP-Tour. Der 19 Jahre alte Top-Favorit war zunächst auch weit entfernt von der Form der Vortage. Im ersten Satz gab er seinen Aufschlag zweimal an Musetti ab, der selbst weniger Fehler machte und nahezu jede Chance ausnutzte.
Alcaraz lag auch im zweiten Durchgang schnell 0:2 hinten, feuerte sich aber immer wieder an und war in größter Not plötzlich wieder ganz der Alte. Er wehrte zwei Matchbälle ab und rettete sich in den Tiebreak, in dem Musetti drei weitere Matchbälle nicht nutzen konnte. Im Entscheidungssatz reichte dem Italiener dann ein Break, weil er seinen sechsten Matchball nach 2:46 Stunden verwertete. «Das ist ein großer Moment für mich», sagte der Weltranglisten-62 stolz.
Pera setzt ihren Siegeszug fort
Am Vortag hatte Außenseiterin Bernarda Pera (USA) ihren Siegeszug auch am Rothenbaum fortgesetzt. Im Finale ließ die 27-Jährige der Turnierfavoritin Anett Kontaveit aus Estland beim 6:2, 6:4 keine Chance und gewann nach Budapest das zweite Turnier in einer Woche. «Das war eine der beeindruckendsten Performances, die ich je gesehen habe», lobte Turnierbotschafterin Andrea Petkovic. Die 34 Jahre alte Darmstädterin war die einzige von elf deutschen Einzel-Teilnehmern bei Damen und Herren, die Runde eins überstand und im Viertelfinale an Kontaveit scheiterte. «Die deutsche Bilanz ist durchwachsen», sagte Petkovic, «aber es waren viel mehr Topstars als 2021 dabei.»
Schon vor Abschluss der ersten Rothenbaum-Doppelveranstaltung seit 44 Jahren zog Turnierdirektorin Sandra Reichel ein positives Fazit. «Es war richtig, hier mit Damen und Herren in einer Woche in einem Turnier anzutreten. Wir haben ein Mini-Grand-Slam-Feeling erlebt.» Sie lobte das Top-Niveau der versammelten Weltspitze, wirtschaftlich war sie bei 55.000 Zuschauern in neun Tagen zufrieden. «Es läuft auf eine schwarze Null hinaus, aber so richtig viel verdient haben wir nicht», räumte die Österreicherin ein. Sie glaubt, dass auch 2023 ein kombiniertes Turnier in der Hansestadt ausgespielt wird. «Ich denke, dass die Zeichen gut stehen.» Was danach kommt, ist allerdings offen.