Martin Kind abgesetzt: Führungsumbruch bei Hannover 96

Mehr als 20 Jahre war Martin Kind der starke Mann bei Hannover 96. Am Mittwochabend ist der Hörgeräte-Unternehmer bei dem Zweitliga-Club nach einem langen Machtkampf überraschend als Geschäftsführer des Profifußball-Betriebs abgesetzt worden.

Der Vorstand des Muttervereins Hannover 96 e.V. verschickte dazu lediglich eine kurze Mitteilung: Man habe den 78-Jährigen «mit sofortiger Wirkung aus wichtigen Gründen abberufen.» Kind selbst äußerte sich nicht.

Ein Nachfolger für Kind sei bereits gefunden

Konkret bedeutet diese Entscheidung erst einmal, dass Kind bei den 96ern weiterhin der Mehrheitsgesellschafter des ausgegliederten Profibereichs ist, aber nicht einmal mehr über das mitentscheiden darf, was ihm mehrheitlich gehört. Dafür sorgt die 50+1-Regel, die nur im deutschen Profifußball den Einfluss externer Investoren begrenzt. Einem Bericht der «Bild»-Zeitung vom Abend zufolge wollen die e.V.-Vertreter künftig ein Mitspracherecht bei wichtigen Posten wie dem Trainer oder dem Sportdirektor im Profibereich haben. Kind jedoch lehnte das immer ab. Das sei der Anlass dieser Eskalation.

Der e.V.-Präsident Sebastian Kramer sagte der «Neuen Presse», dass man Kind am Abend in das Vereinszentrum in der Nähe des Stadions bestellt und ihm die Abberufung mitgeteilt habe. «Er hat es kommentarlos zur Kenntnis genommen», sagte Kramer. Auf die Frage, ob die Vereinsführung bereits einen neuen Profifußball-Chef als Nachfolger für Kind gefunden habe, antwortete er: «Ja.»

Kompliziertes Konstrukt mehrerer Gesellschaften

Bei dem langjährigen Bundesliga-Club gibt es ein kompliziertes Konstrukt mehrerer Gesellschaften. Der Profifußball-Bereich ist in die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ausgegliedert worden. Diese KGaA gehört zu 100 Prozent der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, deren Gesellschafter zu mehr als 50 Prozent Martin Kind sowie Gregor Baum und der Drogerie-Unternehmer Dirk Roßmann sind.

Über die Geschäftsführung der KGaA entscheidet jedoch die Hannover 96 Management GmbH, die wiederum zu 100 Prozent dem Mutterverein gehört. Dadurch ist sichergestellt, dass die 50+1-Regel auch bei den Niedersachsen greift. Denn diese Regel schreibt vor, dass die Stimmenmehrheit immer beim eingetragenen Verein bleiben muss, wenn er seine Profifußball-Abteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgliedert.

Konflikte haben sich zugespitzt

Kind wurde 1997 noch zum Präsidenten von Hannover 96 gewählt, als der Club in der 3. Liga spielte. Unter ihm gelang die Rückkehr in die Bundesliga, der Umbau des Stadions in eine WM-Arena – und die Ausgliederung des Profibereichs. Als Kind nach 20-jähriger Förderung seines Clubs genau wie der VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und 1899 Hoffenheim eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel bei der Deutschen Fußball Liga bekommen wollte, spitzten sich die Konflikte bei 96 zu.

Kinds Antrag wurde abgelehnt, die Opposition im Verein immer stärker. Als sich der langjährige Clubboss als Präsident des Muttervereins zurückzog, um sich nur noch um den Profifußball zu kümmern, wählten die Mitglieder 2019 lauter Kind-Gegner und 50+1-Befürworter an die Spitze des Hannover 96 e.V.. Von da an arbeiteten Kapital- und Vereinsseite mehr gegen- als miteinander.

Beide Seiten konnten sich nie auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Kind-Nachfolge an der Spitze der Profifußball-Gesellschaft einigen. Den von Kind und Roßmann erst 2021 verpflichteten Robert Schäfer lehnte die e.V.-Spitze dafür ab. Die Konflikte schienen sich vorerst beruhigt zu haben, weil Kind mit seinem Geld die Verluste der Corona-Zeit ausglich und in diesem Sommer eine hochambitionierte neue Mannschaft zusammenstellte. Doch diese Ruhe ist vorbei.

Von Sebastian Stiekel, dpa