Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo (28) zählt zu den großen Stars der European Championships von dieser Woche an in München.
Vom 11. bis 21. August stehen 50 Jahre nach den Sommerspielen in Bayerns Landeshauptstadt in neun olympischen Sportarten 177 Medaillenentscheidungen an. Besonders im Fokus sind vom 15. August an die deutschen Leichtathleten, die bei der WM im Juli größtenteils enttäuschten.
Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht die bei den Weltmeisterschaften überzeugende Titelverteidigerin Mihambo über olympische Erinnerungen, die Sichtbarkeit einer EM im Schatten des Fußballs und das mögliche Signal für eine neue deutsche Olympia-Bewerbung.
Frage: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie als ein oder als das Gesicht der European Championships in München im Fokus der Titelkämpfe stehen?
Malaika Mihambo: So etwas ist natürlich immer eine Ehre, weil ich mir das erarbeitet habe und es letztlich für den erfolgreichen Weg steht, den wir beschritten haben. Die Aufmerksamkeit ist ein schönes Nebenprodukt, aber das ist nicht der Grund, warum ich den Sport betreibe. Ich habe einfach Spaß an der Bewegung, verbessere mich gerne, nehme mir gerne Zeit, technische Bewegungsabläufe zu lernen, zu verstehen und umzusetzen. Darauf liegt mein Fokus.
Die Wettkämpfe in München finden auch anlässlich des Jubiläums 50 Jahre nach den Olympischen Spielen statt. Was sind Ihre ersten Erinnerungen olympische Momente?
Mihambo: Da ich nicht aus einer super-sportbegeisterten Familie komme, kann ich das gar nicht so genau sagen. Wir haben nicht so viel Sport im Fernsehen geschaut. Ich bin immer schon jemand gewesen, der den Sport lieber selbst macht als zuzuschauen. Das Zuschauen kam erst mit zunehmendem Alter etwas dazu.
Die schönste eigene olympische Erinnerung ist vermutlich die an den Sieg bei den Sommerspielen in Tokio im vergangenen Jahr.
Mihambo: Das ist auf jeden Fall eine ganz besondere Erinnerung. Aber auch der Wettkampf bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 war für mich besonders und hat mich sehr glücklich gemacht – auch wenn ich dabei keine Medaille gewonnen habe.
Und was wissen Sie über die Olympischen Spiele 1972?
Mihambo: Davon weiß ich nicht so viel. Ich habe ein paar Medaillengewinner im Kopf, wie zum Beispiel Ulrike Meyfarth, mit der ich in diesem Jahr schon ein gemeinsames Interview gegeben habe. Viel habe ich natürlich von dem tragischen Moment der Spiele, dem Münchner Olympia-Attentat, gelesen oder gehört. Aber der Blick auf die Olympischen Spiele vor 50 Jahren ist ein anderer, wenn man damals schon auf der Welt war und die Spiele wirklich gesehen oder miterlebt hat. Nachträglich sieht man vielleicht mal einen Siegessprung oder einen Siegeslauf, aber sicher keinen ganzen Wettkampf.
Hat es eine besondere Bedeutung an so einem historischen Ort zu springen?
Mihambo: Es ist auf jeden Fall schön, an so einen Ort zu kommen und zu sehen, dass diese Sportstätte immer noch aktiv genutzt wird. Und es ist schön, die Geschichte dieses Ortes zu kennen. Aber letztendlich geht es für uns Athleten in diesem Jahr darum, unsere eigenen und neuen Geschichten zu schreiben. Die Vorfreude darauf ist groß.
Wie gefällt Ihnen das Konzept der European Championships mit neun Europameisterschaften unter einem Dach?
Mihambo: Es ist schön, dass man im Olympiapark und in den anderen Sportstätten nicht nur Leichtathletik-Wettkämpfe veranstaltet, sondern auch Wettkämpfe in anderen Sportarten. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es gut, dass so viele Sportstätten von damals erhalten geblieben sind.
Wie wichtig wären erfolgreiche European Championships als Zeichen, dass Deutschland auch abseits des Fußballs internationale Spitzensportveranstaltungen ausrichten kann?
Mihambo: Es ist einfach wichtig, dass der Sport abseits des Fußballs in der Gesellschaft wieder sichtbarer wird. Die Sportnation Deutschland kreist vor allem um eine Sportart. Das ist natürlich schade, weil Sport mehr ist als nur Fußball. Deshalb ist es schön und wichtig, dass Europameisterschaften in anderen Sportarten in Deutschland stattfinden. Kinder können das ganz anders miterleben und danach vielleicht selbst Fuß fassen in diesen Sportarten. Nicht jeder hat das Talent, den Fußball gut aufs Tor schießen zu können.Entziehen sich die neun EM-Sportarten gegenseitig Aufmerksamkeit oder helfen sie sich dabei, mehr wahrgenommen zu werden?
Hoffen auf «einen synergetischen Effekt»
Mihambo: Ich hoffe, dass es einen synergetischen Effekt geben wird, so dass für alle teilnehmenden Sportarten mehr herauskommt, als es bei einzelnen Wettkämpfen der Fall wäre. Kleine oder weniger bekannte Sportarten können besonders, aber auch die Leichtathletik kann davon profitieren.
Können die European Championships auch das Signal für eine neue Olympia-Bewerbung sein?
Mihambo: Das kann sein, aber bei einer Olympia-Bewerbung sollte es nicht nur darum gehen, dass Olympische Spiele in Deutschland stattfinden. Die Gesellschaft und besonders die Ausrichterstadt müssen wirklich Lust darauf haben. Es muss darum gehen, dass man an dem olympischen Gedanken teilhaben und diesen auch verbreiten möchte: Toleranz leben, miteinander und voneinander lernen und an gemeinsamen Werten festhalten. Es muss im Vordergrund stehen, dass man solche Dinge wieder mehr in der Gesellschaft platziert und Olympische Spiele auch von den Werten her gelebt werden – sonst wäre das für mich nicht erstrebenswert.
Wie wichtig wären für die Leichtathletik nach der für Sie so erfolgreichen, insgesamt für das deutsche Team aber enttäuschenden WM in den USA positive Nachrichten von der EM?
Mihambo: Das würde mich natürlich sehr freuen. Man darf in der Bewertung der WM nicht unberücksichtigt lassen, dass einige bei vergangenen Wettkämpfen erfolgreiche Athleten in diesem Jahr mit Verletzungen zu kämpfen haben oder Corona-Infektionen nicht so gut weggesteckt haben. Mich würde es freuen, wenn es diesen Athleten gelänge, in München wieder an frühere Erfolge anschließen zu können. Insgesamt kann das deutsche Gesamtniveau in der Leichtathletik aber momentan nicht mit dem internationalen mithalten. Jetzt geht es darum, Wege zu finden, wie man das wieder schaffen kann.
Und wie könnten solche Wege aussehen?
Mihambo: Da bin ich nicht die beste Ansprechpartnerin, weil ich nur einen kleinen Teilausschnitt mitbekomme. Es geht aber zum einen darum, wie man den Leistungssport in Deutschland fördert, damit sich wirklich jeder Athlet auch erlauben kann, seinen Sport professionell auszuüben. Der Breitensport muss gefördert werden. Denn nur aus einer breiten Basis kann auch eine breite Spitze erwachsen. Deswegen muss Sport in seiner Vielfalt wieder mehr an Präsenz gewinnen. Das bringt die Chance, dass wieder mehr junge Talente den Weg in die für sie jeweils richtige Sportart finden können – und bei guter Förderung auch an der Spitze ankommen.
Ist die Vorfreude auf die EM in München besonders groß, weil es eine Art Heimspiel ist?
Mihambo: Die Vorfreude ist besonders groß, weil die Wettkämpfe in Deutschland stattfinden und man als Athlet eine ganz andere Unterstützung im eigenen Land erfährt. Das durfte ich schon bei der Team-EM in Braunschweig 2014 oder bei der EM in Berlin vor vier Jahren erleben. Diese Unterstützung durch das Publikum gibt es international nur für wenige Leichtathleten, etwa einst für Usain Bolt oder heute für Mondo Duplantis. Aber keiner ist mehr Feuer und Flamme für einen Athleten als das heimische Publikum. Genau das spürt man als Sportler.
Erlaubt man sich in so einem vollen Titelkampfsommer mit WM und EM innerhalb weniger Wochen eigentlich auch mal einen Gedanken an den Urlaub?
Mihambo: Jein. Man plant ein bisschen was, weil man ja nicht einfach spontan nach der Saison in den Urlaub starten kann. Aber das hat keine Priorität. Ich werde nach Südamerika reisen, doch die genaue Reiseroute steht noch nicht fest. Und dann könnte auch der richtige Zeitpunkt kommen, den WM-Titel und die EM zu verarbeiten.
Zur Person: Malaika Mihambo (28) ist Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Europameisterin im Weitsprung. Die dreimalige «Sportlerin des Jahres» in Deutschland ist ein sehr politischer Mensch und äußert sich zu vielen Themen abseits des Sports. Bei der WM in den USA verteidigte sie im Juli ihren Titel erfolgreich – bei der EM will sie ebenfalls ihren Erfolg wiederholen.