Füllkrug rettet Punkt und WM-Hoffnung: 1:1 gegen Spanien

Niclas Füllkrug holte sich erst den Dank seiner Mitspieler, dann erhielt der Tor-Retter auch noch eine innige Umarmung von Bundestrainer Hansi Flick. Mit seinem späten Ausgleich zum 1:1 (0:0) gegen den großen Angstgegner Spanien bewahrte der Super-Joker die deutsche Fußball-Nationalmannschaft vor einem zweiten WM-Tiefschlag.

Durch den Treffer in der 83. Minute bestand die DFB-Elf den Charaktertest gerade noch so. Mit vereinten Kräften rang die DFB-Auswahl ihrem Schreckgespenst nach dem Gegentor von Álvaro Morata (62.) ein 1:1 (0:0) ab.

«Die Mannschaft hat bedingungslos gefightet, da muss man einfach sagen: Kompliment an die Mannschaft. Wir haben erst einen Schritt gemacht, wir müssen den nächsten noch machen gegen Costa Rica», sagte Flick im ZDF und lobte den Torschützen Füllkrug. «Das macht er sehr gut. Mit welcher Entschlossenheit er da abzieht, das hat uns gut getan.»

Doch das Zittern ist für Flick längst nicht vorbei. Nach dem hart erarbeiteten Remis im Beduinen-Stadion von Al-Chaur muss für den Einzug ins Achtelfinale am Donnerstag gegen Costa Rica unbedingt der erste Sieg in Katar her. Sonst wird der peinliche zweite WM-K.o. in der Gruppenphase für den vierfachen Champion doch noch bittere Realität.

Noch «Luft nach oben»

«Wir wollten unbedingt dieses Spiel ziehen», sagte Füllkrug. «Wir haben noch Luft nach oben. Wir haben jetzt die Möglichkeit, die nächste Runde zu erreichen. Wir brauchen jetzt nicht durchdrehen, es ist immer noch ein 1:1 und kein Sieg.» Thomas Müller schwärmte über das «unglaubliche Tor» des 29-Jährigen: «Er ist geil reingekommen, dafür ist er dabei. Das hat er natürlich die letzten Tage auch schon angekündigt.» Kapitän Manuel Neuer fasste das die Quintessenz das Abends zusammen: «Das Wichtige ist: Wir leben noch.»

Mit nur einem Punkt ist Deutschland in der Gruppe E nach dem schlechtesten Start in der langen WM-Historie immer noch Letzter. Durch die unerwartete Hilfe durch Costa Ricas Sieg gegen Japan wenige Stunden vor dem intensiven Kräftemessen der Ex-Weltmeister hat die DFB-Elf ihr Turnierschicksal aber trotz des 1:2 gegen Japan zum Auftakt wieder in der eigenen Hand – auch wenn Spanien seit nun 34 Jahren in einem Pflichtspiel einfach nicht zu schlagen war.

Den Mannschaften war lange Zeit anzumerken, was für sie auf dem Spiel stand – die Spanier hätten durch einen zweiten Sieg nach dem 7:0-Offensivwirbel gegen Costa Rica dank überragender Tordifferenz mit dem Achtelfinale planen dürfen. So jedoch schrieb Stürmer Füllkrug von Werder Bremen in seinem erst dritten Länderspiel mit dem zweiten Treffer im Nationaltrikot seine unglaubliche Geschichte weiter.

Neuer unkonventionell

Zu Beginn wollte kein Team ins Risiko gehen, Taktik war Trumpf, das Aufbauspiel bestand auf beiden Seiten aus viel Abtasten und Abwarten. Die erste und für längere Zeit einzige Großchance der Spanier vereitelte Neuer mit einer etwas unkonventionellen Parade gegen Dani Olmo. Den Schuss des Leipzigers lenkte der deutsche Kapitän mit der rechten Hand an die Latte (7.). Der 36 Jahre alte Neuer bestritt sein 18. WM-Spiel und zog damit als Torhüter mit den Rekordhaltern Sepp Maier und Claudio Taffarel aus Brasilien gleich.

Ihre spielerische Klasse ließen die Spanier immer wieder mit feinen Ballannahmen aufblitzen. Um das Zentrum «zuzumachen» und den Kombinationswirbel der Iberer zu unterbinden, hatte Flick den gegen Japan noch eingewechselten Leon Goretzka neben dessen Bayern-Teamkollegen Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld aufgestellt. Mit seiner Physis zeigte Goretzka die vom Bundestrainer erhofften Qualitäten, störte immer wieder den spanischen Spielaufbau. Ilkay Gündogan rückte zentral eine Position nach vorne, konnte sich aber im Vergleich zu seinem Auftritt mit Elfmetertor gegen Japan nicht entfalten.

Defensiv blieb die Mitte dicht, offensiv ging Flicks Plan hingegen zunächst nicht auf. In der Sturmspitze war Müller viel unterwegs, nahm aber kaum Einfluss auf das Spiel. Youngster Jamal Musiala blieb auf der linken Angriffsseite ohne Wirkung, schimpfte mehrfach.

Zumindest durch Standards und nach eigenen Balleroberung entwickelte das deutsche Team vereinzelt Gefahr. Mit raumgreifenden Schritten überbrückte Goretzka das Mittelfeld, nachdem Gündogan ihm den Ball auflegte. Der Pass auf Serge Gnabry kam jedoch zu spät – abseits (10.). Der Schuss des Bayern-Rechtsaußen vom Strafraumrand strich Mitte der ersten Halbzeit am langen Pfosten des Tors von Unai Simón vorbei (24.).

Zu früh gefreut

Kurz vor der Pause jubelte das deutsche Team über die vermeintliche Führung. Vor seinem wuchtigen Kopfballtreffer stand Abwehrchef Antonio Rüdiger jedoch – wie die Videoüberprüfung aufdeckte – klar im Abseits (40.). Den Versuch des Verteidigers von Real Madrid fünf Minuten später aus spitzem Winkel vereitelte Simon ohne größere Mühe.

Neben Rüdiger durfte Niklas Süle nach seinem missglückten Auftritt als Rechtsverteidiger gegen Japan wieder auf seiner Lieblingsposition im Zentrum ran. Und dort fühlte sich der Dortmunder sichtbar wohler, agierte bis zum Rückstand präsent. In der Rückwärtsbewegung hatte auf der linken Abwehrseite David Raum allerdings mehrfach Probleme. Doch nachdem Neuer bei einem Fehlpass ungewohnte Schwächen mit dem Fuß offenbarte, rettete der Leipziger seinen Keeper, indem er Ferran Torres entscheidend störte (26.).

Das deutsche Team trat insgesamt konzentriert auf. Vor den Augen von DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der zwei Plätze neben FIFA-Chef Gianni Infantino auf der Ehrentribüne Platz nahm, legte die Flick-Auswahl in der zweiten Halbzeit zunächst auch die Angst vor einem erneuten Rückschlag ab. Kimmich eroberte den Ball mit einer Grätsche am gegnerischen Strafraum, Gündogan legte quer zurück, doch Simón lenkte den Schuss Kimmichs zur Ecke (56.).

Kehrer zu weit weg

Aber Spanien blieb stets gefährlich – und schockte das deutsche Team. Thilo Kehrer, der für Nico Schlotterbeck in die Startelf gerückt war, stand auf der rechten Abwehrseite zu weit von Jordi Alba. Die flache Hereingabe des Profis des FC Barcelona verwertete Morata, der einen Schritt schneller als Süle war.

Der Rückstand war ein kurzer Wirkungstreffer für das deutsche Team. Kurz nach der Führung der Spanier setzte Marco Asensio freistehend seinen Schuss aus 16 Metern über das Tor von Neuer. Flick brachte Füllkrug und den genesenen Leroy Sané für die Offensive – diesmal passten die Wechsel. Der Bayern-Offensivstar setzte seinen Bayern-Teamkollegen Musiala in Szene. Mit einem unüberlegten Schuss scheiterte der 19-Jährige jedoch an Simon (73.) anstatt zu Füllkrug querzulegen. Wie schon gegen Japan mangelte es noch an der offensiven Effizienz.

Doch Füllkrug beendete die Torlosigkeit. Sané setzte Musiala ein, dieser leitete mit toller Ballbehandlung weiter, der Bremer vollendete. Mit dem hart erkämpften Punktgewinn ist nun wieder alles möglich.

Arne Richter, Klaus Bergmann, Ulrike John und Florian Lütticke, dpa