Im Corona-Sommer 2020 servierte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto seinen Star-Piloten Sebastian Vettel am Telefon ab. Der viermalige Formel-1-Weltmeister musste die Scuderia Ende des damaligen Jahres verlassen.
Nach der nächsten titellosen Saison mit den Italienern hat Binotto nun selber Konsequenzen gezogen. Wie die Scuderia nach langen Spekulationen mitteilte, hat der Rennstall den Rücktritt des 53-Jährigen zum 31. Dezember dieses Jahres akzeptiert. Der Schweizer war 1995 zu Ferrari gestoßen und diente schon Michael Schumacher in dessen beispielloser Ferrari-Ära als Motoreningenieur.
«In eine wettbewerbsfähige Position geführt»
«Ich möchte Mattia für seine vielen großartigen Verdienste in den 28 Jahren bei Ferrari danken und insbesondere dafür, dass er das Team im vergangenen Jahr wieder in eine wettbewerbsfähige Position geführt hat», erklärte Ferrari-Boss Benedetto Vigna. Dadurch sei die Scuderia nun «in einer starken Position, um sich erneut der Herausforderung zu stellen, die höchste Auszeichnung im Motorsport zu gewinnen».
Das probiert Ferrari aber schon sehr lange. Nach der unvergleichlichen Ära um Teamchef Jean Todt (1993 bis 2007) und Ausnahmefahrer Schumacher (1996 bis 2006) holten die Italiener letztmals 2007 durch Kimi Räikkönen den Fahrertitel und 2008 letztmals die Konstrukteurs-WM. Selbst der viermalige Weltmeister Vettel konnte die Scuderia in seiner Zeit von 2015 bis 2020 nicht ganz nach oben führen.
«Mit dem damit verbundenen Bedauern habe ich beschlossen, meine Zusammenarbeit mit Ferrari zu beenden. Ich verlasse ein Unternehmen, das ich liebe und dem ich 28 Jahre angehört habe, mit dem Gleichmut, der sich aus der Überzeugung speist, dass ich alles getan habe, um die gesetzten Ziele zu erreichen», erklärte Binotto.
Der 53-Jährige hinterlässt nach eigener Einschätzung ein «geeintes und im Wachstum befindliches Team. Ein starkes Team, das sicher bereit ist, die höchsten Ziele zu erreichen, und dem ich für die Zukunft alles Gute wünsche.»
Vettel-Trennung am Telefon
Binotto war bei Ferrari zum Technikdirektor aufgestiegen, ehe er Anfang 2019 nach einem Machtkampf Maurizio Arrivabene als Teamchef ablöste. Ein Jahr später griff er zum Hörer und teilte Vettel dessen Aus zum Saisonende mit. Wie «aus dem Nichts» sei die Trennung angekündigt worden, erinnerte sich der Deutsche später an Binottos Anruf.
Vettel, mittlerweile Formel-1-Rentner, wurde durch den Spanier Carlos Sainz ersetzt. In der abgelaufenen Saison ließ Charles Leclerc Ferrari zunächst sogar vom Titel träumen. Der Monegasse lag nach drei Rennen im ersten Jahr der Regelrevolution sogar 46 Punkte vor Max Verstappen im Red Bull. Peinliche Fahrfehler, haarsträubende Strategieaussetzer und technische Schäden kosteten aber anschließend den möglichen Coup.
Ferrari scheiterte mal wieder an sich selbst. Leclerc wurde beim Saisonfinale in Abu Dhabi noch WM-Zweiter, Verstappen stand da jedoch schon längst als Weltmeister fest. «Ich denke, es ist richtig, diesen Schritt zu diesem Zeitpunkt zu gehen, so schwer mir diese Entscheidung auch gefallen ist», erklärte Binotto nun, der bei der Scuderia eine lange herrschende Angst- und Kritik-Kultur spürbar entspannt hat. Die Suche nach einem neuen Ferrari-Teamchef läuft längst, im neuen Jahr soll er bekannt gegeben werden.
Gerüchte über eine Trennung von Binotto hatte es zuletzt rund um das Saisonfinale am Persischen Golf gegeben. «Es liegt nicht an mir, darüber zu entscheiden, aber ich bin ziemlich entspannt. Der Grund, warum ich entspannt bin, ist, dass ich immer offene, ehrliche und konstruktive Gespräche mit meinen Chefs und meinem Vorsitzenden führe», hatte Binotto da auf die Frage geantwortet, ob er auch noch 2023 Teamchef sein werde.
Nachfolger gesucht
Wer wird nun sein Nachfolger? Todt ist zwar nach seiner Präsidentschaft beim Automobil-Weltverband Fia frei, aber bereits 76 Jahre alt. Arrivabene (65) ist Fußball-Boss bei Juventus Turin, dort ist aber der gesamte Vorstand nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen möglicher Bilanzfälschung zurückgetreten. Eine Rückkehr? Extrem unwahrscheinlich.
Als Favorit wird Frédéric Vasseur (54) gehandelt. Der Franzose ist seit 2017 Teamchef von Sauber, das später in Alfa Romeo umbenannt wurde. Der Rennstall arbeitet eng mit Ferrari zusammen. Vasseur selbst kennt Leclerc bestens, denn der Monegasse hat 2018 unter ihm seine erste komplette Formel-1-Saison absolviert. Und Ferrari ist eine ganz andere Hausnummer als das Team aus Hinwil.