Der Präsident, der aus der Kurve kam: Herthas Kay Bernstein

Es ist ein Ehrenamt, das viel Zeit frisst, sich für Kay Bernstein aber auch wie eine Berufung anfühlt. «Sehr, sehr viele Stunden» nehme die Präsidentschaft bei Hertha BSC jede Woche in Anspruch. «Fulltime und dazu herausfordernd», sagt der 42-Jährige, der seit Ende Juni im Amt ist, der Deutschen Presse-Agentur.

«Dort reinzuwachsen ist eine Frage von: Wie geht man mit den Erwartungen und wie geht man in der Familie damit um? Die Zeit, die man hat, dann wirklich auch wahrhaftig zu nutzen.»

Der Elan scheint ihm bei allem Aufwand noch lange nicht auszugehen. Da sei er wahrscheinlich noch zu jung für, sagt er. «Ich habe die Energie noch. Die Leute und ihre Dankbarkeit geben mir die Energie, auf dem Weg weiterzumachen.»

Bernstein – «Fan, Kutte, dann Ultra»

In der Geschichte von Bernstein steckt ordentlich Fußball-Romantik: Ende der 1980er-Jahre zieht er von Dresden nach Berlin-Marzahn, als Jugendlicher nimmt ihn ein Freund mit zur Hertha – und die lässt ihn nicht mehr los. «Fan, Kutte, dann Ultra», wird er zitiert. Bernstein wird Vorsänger in der Ostkurve und engagiert sich um den Club, immer wieder mit den Ultras auch zu Dingen, die mit Fußball nur am Rande zu tun haben.

Dieses gesellschaftliche Engagement ist ihm heute noch wichtig. «Es ist so viel an wunderbarer karitativer Kraft da draußen. Das wollen wir noch mehr unterstützen», sagt er zu einem seiner Ziele für Hertha. Doch auch Konflikte trägt er mit den Institutionen aus. Dreimal bekommt er vorübergehend Stadionverbot. Dieter Hoeneß, langjähriger Hertha-Manager, sagte dem rbb: «Ich habe mit Kay Bernstein mehrere Sträuße ausgefochten. Wobei ich sagen muss, dass ich ihn auch damals schon mochte, obwohl er uns einige Sorgen bereitet hat.»

Bernstein baut eine Event- und Kommunikationsagentur auf, auch im Stadion wechselt er den Platz: auf die Haupttribüne. Als sich das Ende der immer bleischwerer gewordenen Ära von Werner Gegenbauer abzeichnet, kündigt Bernstein seine Kandidatur an. «Wir waren auf dem besten Weg dahin, den Leuten egal zu werden», sagte er. «Und das war etwas, was ich nicht zulassen konnte, weil es mir das Herz gebrochen hat.»

«Er hat die Hertha-DNA, das ist positiv»

Dass er tatsächlich gewählt wird, ist auch eine klatschende Ohrfeige für das Hertha-Establishment, das in Teilen unverhohlen seinen Gegenkandidaten Frank Steffel durchboxen wollte. Die Bedenken unmittelbar nach der Wahl sind da: Ein Ex-Ultra ohne Erfahrung im Führen eines Bundesliga-Clubs, kann der das? Sie haben sich nun weitestgehend zerstreut.

Ein Dampfplauderer ist Kay Bernstein nicht, vor manchen Antworten nimmt er sich einen Moment Zeit zum Reflektieren. Probleme spricht er klar an. Und er hat den Club und das Amt wieder nahbarer gemacht, nicht nur mit seiner allgegenwärtigen Hertha-Trainingsjacke.

Bernstein macht mit den Fans eine Radtour zum Stadion, spendiert zu seinem Geburtstag Döner für die Mitarbeiter. «Er hat die Hertha-DNA, das ist positiv. Er weiß ganz genau, was es heißt, alles für den Verein zu geben», sagte Ur-Berliner Kevin-Prince Boateng im August über den neuen Präsidenten. Auch Geschäftsführer Fredi Bobic arbeitet offenbar gut mit ihm zusammen.

Bernstein hat das gemacht, was er angekündigt hat. Versucht, alle mitzunehmen, klarer zu kommunizieren. «Kulturwandel» nennt er es selbst. Das Miteinander ist gewachsen. «Aber auch das war ein hartes Stück Arbeit an vertrauensbildenden Maßnahmen, dahin zu kommen», sagt Bernstein. Wofür Hertha unter ihm in der Hauptstadt stehen soll? «Für einen ehrlichen, emotionalen, begeisterungsfähigen Fußball. Für eine gesellschaftliche Verantwortung in der Stadt», sagt er.

Verein sportlich und finanziell vor schweren Zeiten

Anders als in den turbulenten vergangenen Jahren bleibt es auch bei Misserfolgen oder anderen Problemen verhältnismäßig ruhig um den Club. Die Spionageaffäre um Investor Lars Windhorst war Bernsteins erste große Krise, auch diese wurde bislang souverän gemanagt. «Ich würde es gar nicht als Krise bezeichnen, sondern eher als Feuertaufe und als Bewährungsprobe, damit vernünftig umzugehen. Und ich für mich kann sagen, dass es sich dadurch noch mehr als Berufung anfühlt, Präsident zu sein», sagt er.

Doch bei allen positiven Entwicklungen gibt es noch viel Arbeit. Leicht werden die nächsten Jahre wohl kaum. Sportlich tritt die Mannschaft unter Sandro Schwarz zwar wesentlich besser auf. Die kalten Zahlen sagen aber: Tabellenplatz 15, punktgleich mit dem VfB Stuttgart auf dem Relegationsrang. Finanziell sieht es noch düsterer aus.

Dazu müssen die Pläne für den Bau eines eigenen Stadions konkretisiert und sehr wahrscheinlich die Zusammenarbeit mit einem neuen Investor geregelt werden. «Wir müssen Geduld aufbringen und diesen Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben, konstant weitergehen. Dann wird er erfolgreich sein», sagt Bernstein. Und zu den Erwartungen: «Es wird ein Prozess sein, den Leuten immer wieder klarzumachen, dass wir unsere Erwartungen an die Realität anzugleichen haben.»

David Langenbein und Thomas Flehmer, dpa