Multi-Sport-Veranstaltungen haben Hochkonjunktur. Nur zehn Monate nach den gefeierten European Championships in München starten am Mittwoch die Europaspiele in Krakau und weiteren polnischen Städten.
Und vier Tage nach deren Ende am 2. Juli beginnen «Die Finals» mit deutschen Meisterschaften in 18 Sportarten an Rhein und Ruhr sowie Kassel. Als weiteres Großereignis sind die «FIS-Games» des Ski-Weltverbandes für 2028 in der Planung. Diese Multi-Sport-Events sind für im medialen Schatten stehende Sportarten ein Gewinn – die Häufung im prallen Wettkampfkalender aber auch ein Problem.
Die deutsche Leichtathletik-Cheftrainerin Annett Stein hält die Europaspiele für «eine tolle Sache, weil wir in der Sichtbarkeit unter den Sommersportarten eine Aufwertung erfahren. Wir stehen wirklich im Fokus, weil das ZDF mehr als in den letzten Jahren darüber berichtet. Das ist für uns ein Mehrwert.» Allerdings wird diesmal die nicht ganz so populäre Team-EM unter dem Europaspiele-Dach ausgetragen. Bei den European Championships waren die Top-Leichtathleten und die EM-Triumphe von Niklas Kaul (Zehnkampf), Konstanze Klosterhalfen (5000 Meter) und Gina Lückenkemper (100 Meter) der Hit.
287 deutsche Athletinnen und Athleten am Start
Sportlich haben die 3. Europaspiele nach denen in Baku und Minsk eine Aufwertung erfahren, weil in 19 Sportarten um Quotenplätze und Ranglistenpunkte für die Olympischen Spiele 2024 in Paris gekämpft wird. Gleichzeitig werden zwölf Europameisterschaften ausgetragen. Insgesamt treten rund 7000 Teilnehmer aus 48 Ländern in 29 Sportarten und -disziplinen an. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat 287 Athletinnen und Athleten am Start – eine olympische Größenordnung. «Es ist keine nachrangige Veranstaltung für uns», betonte Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport des DOSB.
«Die European Games sind mehr als eine willkommene Standortbestimmung, weil dort zum Beispiel im Wasserspringen auch Olympia-Quotenplätze erkämpft werden können», sagte Christian Hansmann, Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes. Überdies seien sie ein Schaufenster für Rand- und Nischensportarten. «Der Schwimmsport hat ein immanentes Interesse an Multi-Sport-Events. Erst recht, wenn sie gesteigerte TV-Sendezeiten und öffentliche Aufmerksamkeit mit sich bringen können», sagte er.
«Gerade im Sommersport sind die Multi-Events die Lösung für mehr Fernsehpräsenz, weil wir es einfach nicht schaffen, irgendwelche Sportverbände zu bündeln oder ein ähnliches Format zu kreieren, wie es im Wintersport existiert», sagte Jens Kahl, Sportdirektor der deutschen Kanuten. «Deswegen sind die Multi-Sport-Events im Sommersport sehr wichtig, um im Fokus medialer Berichterstattung zu kommen.» Auch die Deutsche Triathlon-Union schätzt diese Großveranstaltungen mit «ihrer Strahlkraft», um mehr wahrgenommen zu werden und «die Attraktivität unserer Sportart unter Beweis stellen können», hieß es.
Die European Championships sind in Zusammenarbeit mit der European Broadcasting Union (EBU) entstanden. Nach 2018 in Berlin und Glasgow wurden sie zum zweiten Mal in München ausgetragen. ARD und ZDF berichteten täglich bis zu zehn Stunden live und hatten im Schnitt 1,7 Millionen Fernsehzuschauer pro Tag. Die Europaspiele sind auf Initiative der Europäischen Nationalen Olympischen Komitees (EOC) entstanden. Sie konkurrieren mit den European Championships, auch um die Akquise von EM-Titelkämpfen in ihren Programmen.
Multi-Events als Sportarten-Schaufenster
Ob es dauerhaft zwei Multi-Events in Europa braucht, «wird sich noch zeigen müssen», sagte Tabor. «Man muss nun sehen, wie die Großveranstaltungen weiter zusammenpassen werden.» Es müsse aber irgendwann eine Klärung geben, weil man ohnehin schon große Schwierigkeiten im Wettbewerbskalender habe, noch zusätzliche Veranstaltungen unterzubringen: «Dies kann auch für die Athleten zum Problem werden. Da wird man rangehen und anschauen müssen, wie man das synchronisiert.»
Die Multi-Events werden jedoch von den Athleten als Schaufenster ihrer Sportarten geschätzt, aber nicht nur aus diesem Grund. «Wir brauchen solche Veranstaltungen. Ganz extrem, auch auf regionaler Ebene: In Europa, in Deutschland und vielleicht sogar auch in den einzelnen Bundesländern», erklärte Léa Krüger, Fechterin und Präsidiumsmitglied beim Verein Athleten Deutschland. «Je regionaler die Multi-Sport-Veranstaltungen sind, desto attraktiver, sichtbarer und nahbarer wird Sport für die Bevölkerung.» Vielleicht komme man dadurch dahin, dass den Olympischen Spielen nicht mehr der «absolute Stellenwert» eingeräumt werde
Krüger hielte das für eine wünschenswerte Entwicklung, weil die Spiele «das Immer-schneller-höher-weiter-Syndrom» hätten. Dieser absolute Stellenwert, den die Olympischen Spiele haben, führe zu einer Monopolstellung des Internationalen Olympischen Komitees: «Dadurch hat man als Athlet eine Machtlosigkeit, weil Olympia das Ein und Alles ist.» Deswegen glaubt die 27-Jährige, dass diese kleineren Multi-Sport-Events immer wichtiger werden, um «diese Absolutheit» der Olympischen Spiele zu relativieren. «Es ist an der Zeit, dass wir die Mehrwerte des Spitzensports erfahrbar für die Bevölkerung machen», meinte Krüger.