Auf eine politische Debatte über den aufgehobenen Wimbledon-Bann von russischen und belarussischen Tennisprofis wollte sich Olympiasieger Alexander Zverev nicht einlassen.
«Ich weiß, es gibt auch andere Meinungen. Aber ich fahre nach Wimbledon, um da Tennis zu spielen und nicht um Politiker zu sein», antwortete der 26-Jährige, als er in der Vorbereitung auf den Rasen-Klassiker auf das heikle Thema angesprochen wurde.
Ein Jahr nach dem aufsehenerregenden Ausschluss als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine kehren die Spielerinnen und Spieler aus Russland und Belarus jetzt nach Wimbledon zurück. Auf der Turnier-Homepage ist die schon Ende März verkündete Entscheidung der Organisatoren mittlerweile weit nach unten gerutscht. Mit dem Auftakt des prestigeträchtigen Grand Slams am Montag rückt das Thema aber wieder in den Fokus.
Wie bei den French Open könnte auch in London die politische mit der von Funktionären gern als vermeintlich unpolitisch charakterisierte Welt des Sports kollidieren. Die belarussische Australian-Open-Gewinnerin Aryna Sabalenka und die russischen Top-Ten-Profis Daniil Medwedew und Andrej Rubljow zählen zu den namhaften Profis, die vom 3. bis 16. Juli auf dem heiligen Rasen wieder um den Titel spielen dürfen.
«Ich glaube, gerade Andrej hat sich sehr, sehr oft gegen den Krieg ausgesprochen. Ich finde, man kann ihn nicht dafür bestrafen, dass er in ein Land geboren wurde, das jetzt Krieg führt», sagte Zverev: Für ihn hätte die Entscheidung vor allem sportliche Folgen. «Was das ändert? Dass Daniil Medwedew und Andrej Rubljow dabei sind – was es für alle nicht einfacher macht», sagte der Hamburger. Die deutsche Nummer eins bei den Damen, Tatjana Maria, wollte sich in Bad Homburg nicht weiter zum Thema äußern: «Das liegt nicht in meinen Händen.»
Entscheidung nicht aus Überzeugung getroffen
Als die Wimbledon-Organisatoren vor rund drei Monaten ihre Kehrtwende veröffentlichten, machten sie deutlich, dass sie nicht aus Überzeugung handeln. Es war ein Resultat der Strafe und des Drucks möglicher Konsequenzen. Man sei nach wie vor der festen Meinung, dass ein Ausschluss «der richtige Kurs war», teilte der britische Tennis-Verband LTA mit.
Aber die «erheblichen Strafen» durch die mächtigen Spielervereinigungen ATP und WTA inklusive der «realen Aussicht auf eine Beendigung unserer Mitgliedschaft» im Falle eines erneuten Start-Verbots hätten dem Veranstalter fast keine andere Wahl gelassen. Wie die BBC berichtete, wurde der LTA von der WTA mit einer Geldstrafe von 750.000 US-Dollar und von der ATP mit einer Strafe von einer Million US-Dollar belegt.
Wimbledon knüpfte die diesjährige Teilnahme der russischen und belarussischen Profis an Bedingungen. So müssen die Athleten eine Neutralitätserklärung unterschreiben. Und sie dürfen keine Unterstützung für die Invasion Russlands in der Ukraine bekunden, im Zusammenhang mit der Teilnahme dürfen sie keine finanziellen Mittel vom Staat erhalten.
Im vergangenen Jahr hatte Wimbledon eine Sonderrolle eingenommen und sich als einziges der vier Grand-Slam-Turniere gegen den Kurs von WTA und ATP gestellt. Als Reaktion darauf hatten ATP und WTA beschlossen, dass in Wimbledon keine Weltranglistenpunkte vergeben werden. Zum Nachteil auch für Maria und Jule Niemeier, die überraschend bis ins Halb- beziehungsweise Viertelfinale gekommen waren. Mit den Punkten hätten sie in der Weltrangliste einen Sprung nach vorn gemacht. Diesmal wird wieder um Punkte gespielt.
Becker «froh» über Russen-Start
Generell sind im Tennis in den Nationen-Wettbewerben Davis Cup und Billie Jean King Cup russische Teams außen vor. Bei den Turnieren der ATP und WTA sind russische und belarussische Tennisprofis auch nach dem Beginn des Kriegs als neutrale Athleten am Start. In der Regel sind Tennisprofis finanziell nicht abhängig von staatlichen Fördersystemen und gelten aufgrund der vielen Reisen als Weltenbürger, so lautet die Argumentation.
Er sei «froh» über die Zulassung russischer und belarussischer Spieler, sagte der dreimalige Wimbledon-Gewinner Boris Becker und begründete: «Das sind alle keine Befürworter vom Krieg, sie haben sich alle dagegen ausgesprochen, sie spielen für sich und nicht für ihr Land.»
Doch seit Monaten wird immer wieder deutlich, wie schwierig es ist, wenn im Sport-Alltag ukrainische auf russische oder belarussische Profis treffen. So verzichten die ukrainischen Sportler nach einem Match gegen russische oder belarussische Athleten auf den im Tennis üblichen Handschlag. In Indian Wells trat die Ukrainerin Lessia Zurenko nicht zur Partie gegen Sabalenka an und begründete dies später mit einer Panikattacke.
In Paris bei den French Open war die Politik immer wieder zum Thema geworden. Sabalenka hatte zweimal eine Pressekonferenz boykottiert, nachdem sie mit politischen Fragen konfrontiert wurde. Die Ukrainerin Switolina wurde nach ihrem brisanten Viertelfinale gegen Sabalenka von Teilen des Publikums ausgebuht, als sie den Handschlag verweigerte – obwohl Sabalenka wartete.
«Ich denke, es ist nicht leicht für die ukrainischen Spieler an Wettkämpfen auf der Tour teilzunehmen», sagte die polnische Weltranglisten-Erste Iga Swiatek, die sich stets als Unterstützer der Ukraine zeigte, in Bad Homburg: «Ich möchte mich mehr darauf konzentrieren, ihnen zu helfen.»