Die schönste Geschichte haben die beiden Hockey-Geschwister Selin und Timur Oruz eigentlich schon geschrieben.
Vor mehr als 20 Jahren haben sich die beiden im Kindesalter zum Hockey spielen in den Krefelder Stadtwald auf einen langen Weg begeben, der sie mit ihren Nationalmannschaften bis zum Gewinn der Bronzemedaille bei Olympia 2016 in Rio geführt hat.
Die am Freitag beginnende Hockey-Europameisterschaft der Damen und Herren in Mönchengladbach (18. bis 27. August) vor der eigenen Haustür ist für Timur und Selin noch einmal ein ganz besonderes Highlight.
«Wie eine Belohnung»
«Eine olympische Medaille ist für jeden Amateursportler das Nonplusultra, das wird auch immer so bleiben. Aber diese Heim-EM ist wie eine Belohnung. Das kann ein sehr erfüllendes Turnier werden», sagte Selin Oruz im gemeinsamen Interview mit ihrem Bruder der Deutschen Presse-Agentur. Die beiden Europameister sind direkt für Olympia 2024 in Paris qualifiziert.
Einen EM-Titel haben die Oruz-Geschwister noch nicht gewonnen, doch am größten Erfolg der vergangenen Jahre war Timur Oruz beteiligt, als er mit seinem Team in einem spannenden und emotionalen Turnier den WM-Titel in Indien gewann. Der Jubel war groß, die Zeit danach sehr kompliziert.
«Ich bin in ein unfassbares Loch gefallen, und da war ich nicht der Einzige. Es hat danach eine unfassbare Leere stattgefunden. Die Pause war eigentlich viel zu kurz für das, was wir da erlebt haben», sagte der 28-Jährige, der sich jetzt aber auf seine erste Heim-EM freut. «Das wird sicher bombastisch und eine ganz besondere EM für uns», sagte Timur, der beim deutschen Meister Rot-Weiss Köln spielt und seinen Sport trotz einer Diabetes-Erkrankung ausübt.
In einer solch schwierigen Phase wie nach der WM hilft vor allem Verständnis im Umfeld. Da kann die jüngere Schwester auch dem großen Bruder mal eine Stütze sein. «Das ist doch sehr wertvoll, zu wissen, wie das ist, wenn man in ein Loch fällt. Es ist doch top, dass wir zur gleichen Zeit aktiv sind und uns in besonderen Momenten haben», sagte die 26 Jahre alte Selin. Sie selbst habe am Anfang auch sehr von Timurs Erfahrungen profitiert. «Ich hatte immer einen großen Bruder, der mir sagt, wie es läuft, beim ersten Laktattest, beim ersten Lehrgang. Das waren schon sehr wertvolle Momente», sagte die Kapitänin des Düsseldorfer HC, mit dem sie im vergangenen Jahr die deutsche Meisterschaft gewann.
EM-Titel als Ziel
Beim Turnier im Gladbacher Hockeypark peilen sie jetzt mit ihren Nationalteams den jeweils ersten EM-Titel seit zehn Jahren an. Der WM-Titel der Herren und die beiden EM-Titel der U18-Junioren und -Juniorinnen in diesem Jahr sind eine willkommene Vorlage. «Es ist eine schöne Gelegenheit, unsere Region für den Sport zu begeistern und junge Leute zu inspirieren», sagte Selin Oruz, die in Düsseldorf auch Botschafterin für die Fußball-EM 2024 ist und im Juni ihr letztes Staatsexamen in Medizin bestanden hat.
Über die Zusage von ARD und ZDF, die beiden EM-Endspiele bei deutscher Beteiligung live im TV zu zeigen, haben sich die beiden nur bedingt gefreut. «Nach unserem Erfolg bei der WM nun bei der Heim-EM nur die Finals zu zeigen, ist schon wieder ein Schlag ins Gesicht für uns Sportler. Da hört bei mir das Verständnis auf, das ist schade und traurig», befand Timur Oruz. Die WM-Spiele der Herren in Indien waren als Livestreams zu sehen. Seine Schwester empfindet die Entscheidung immerhin als zusätzlichen Ansporn, das Finale zu erreichen. «Das ist schon mal ein großer Schritt.»
Offener Umgang mit Diabetes
Ihren Sport, den beide als elitär und für durchschnittliche Familien als zu teuer bezeichnen, und die damit verbundene Öffentlichkeit nutzen sie auch für soziale und gesellschaftliche Themen. Timur spricht offen über seine Erkrankung und wie man damit als Sportler umgehen kann. «Ich sehe mich da schon als Vorbild für die junge Generation. Diabetes ist eine nicht einfach zu händelnde Krankheit. Ich finde den Austausch darüber sehr wichtig und sehe das auch als Verpflichtung an, darüber aufzuklären», sagte er.
Auch zum Thema Nachhaltigkeit leisten die Teams ihren Beitrag. Die Damen-Auswahl hat einen eigenen Hockeywald in Südafrika mit mehr als 1000 Bäumen. Mit Aktionen bei der EM sucht man Unterstützung für weitere Pflanzungen. «Wir haben uns Gedanken über unseren CO2-Abdruck gemacht und wollten verantwortungsvoll und nachhaltig handeln», erklärte Selin Oruz. Ihr Bruder kritisiert das System mit den vielen Flugreisen. «Man sollte vielleicht eher darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, für ProLeague-Spiele um die ganze Welt zu fliegen. Da ist unsere Sportart nicht sonderlich fortschrittlich», sagte Timur Oruz.»