Dominanz der «Killerwespen»: Historisches Jumbo-Spektakel

Es war ein Bild für die Ewigkeit. Arm in Arm rollten Sepp Kuss, Jonas Vingegaard und Primoz Roglic über den Zielstrich der vorletzten Etappe der Spanien-Rundfahrt.

Der historische Triumph war faktisch perfekt, die Schlussetappe nach Madrid – die Sprinter Kaden Groves gewann – nur noch die verdiente Ehrenrunde. Das unantastbare Trio bildet das Podium der Gesamtwertung – und fährt im selben Team. «Ich bin oft in siegreichen Teams, aber das Führungstrikot zu tragen, ist unglaublich. Ich lebe meinen Traum», sagte der Vuelta-Sieger Kuss. Im Ziel stemmte der US-Amerikaner sein eigens in der Trikotfarbe rot lackiertes Rad jubelnd in die Höhe.

Die Mannschaft Jumbo-Visma, wegen ihrer schwarz-gelben Trikots ehrfurchtsvoll Killerwespen genannt, dominierte die drei großen Landesrundfahrten in diesem Jahr wie keine andere Equipe zuvor. Roglic gewann im Mai den Giro d’Italia, Vingegaard im Juli die Tour de France – und in Spanien war nun Edelhelfer Kuss an der Reihe. Alle drei Grand Tours in einem Jahr hat noch nie eine Mannschaft gewonnen. Drei Fahrer eines Teams auf dem Podium der Vuelta hatte es zuvor nur 1966 durch den KAS-Rennstall gegeben.

Jumbo-Konkurrenz schwächelt

Ein Grund für die Stärke Jumbos ist die Schwäche der Konkurrenz. Titelverteidiger Remco Evenepoel trat nicht in der Form des Vorjahres an, und die kletterfesten Spanier wie Juan Ayuso, Enric Mas und Mikel Landa erfüllten mal wieder nicht die Sehnsüchte ihrer Landsleute. «Wir hatten mehr Gegenwehr erwartet, aber am Ende hatten wir die drei stärksten Fahrer im Rennen», sagte Sportchef Grischa Niermann. Fünf Etappen gewannen seine Fahrer in den vergangenen drei Wochen in Spanien.

Für den Sport ist die Dominanz Gift, denn sie kann zu Langeweile führen. Zudem bietet sie gerade im Radsport Nährboden für allerlei Verdächtigungen. Natürlich wurden die Jumbo-Profis danach gefragt. «Wir verstehen die Skepsis», sagt Vingegaard. «Die Leute sollten jedoch wissen, dass wir sehr viel opfern und sehr detailliert arbeiten. Wir machen in diesem Team alles perfekt, und das macht einen großen Unterschied.» Er sei sich «100 Prozent sicher, meine zwei Kollegen nehmen nichts und für mich gilt das auch».

Was Jumbo allerdings nicht wegdiskutieren kann, ist die positive Dopingprobe von Michel Heßmann. Der Freiburger wurde bei einer Trainingskontrolle am 14. Juni in Deutschland positiv auf ein Diuretikum getestet. Die Mittel regen die Harnproduktion an und sorgen so für die Entwässerung des Körpers. Von seinem Team wurde er im August nach Bekanntwerden bis auf Weiteres suspendiert. Die Staatsanwaltschaft durchsuchte seine Wohnung, wo keine Dopingmittel gefunden wurden. Die Ermittlungen laufen. Heßmann war in diesem Jahr beim Giro Helfer von Roglic.

Weiteres Betrugsthema: Motordoping

Die Vuelta brachte in diesem Jahr noch ein weiteres Betrugsthema erneut auf den Tisch. Nachdem Kuss am Tourmalet mit atemberaubender Geschwindigkeit attackiert hatte, von einem Zuschauer ausgebremst wurde und den Angriff ohne zu zögern wiederholte, sprach Ex-Profi Jerome Pineau von Motordoping. «Sepp Kuss fuhr am Tourmalet zehn Kilometer pro Stunde schneller als die Gruppe davor», sagte der Franzose.

Allerdings werden nach jeder Etappe die Räder der Top-Fahrer sowie eine zufällige Stichprobe geröntgt, um mechanischen Betrug auszuschließen. Für Pineau ist das kein Argument. «Es gibt keine Beweise, aber bei Armstrong hatten wir sie auch nicht und jeder wusste es», sagte der Ex-Profi. Die Dominanz des Teams bereite im Sorgen. Jumbo-Visma bestritt den von Pineau unterstellten Betrug.

Von Tom Bachmann, dpa