Neues Wir-Gefühl: Melsungen plötzlich topp

Beim Blick auf die Tabelle wird Michael Allendorf derzeit warm ums Herz. «Zwicken muss ich mich zwar nicht, denn ich war immer davon überzeugt, dass wir besser spielen und auftreten können. Aber natürlich ist die momentane Situation ein wenig Balsam für die Seele», sagte der Sport-Vorstand der MT Melsungen der Deutschen Presse-Agentur über den sportlichen Höhenflug des Tabellenzweiten der Handball-Bundesliga. 

In den vergangenen Jahren wurden die Nordhessen vor der Saison oft als Geheimfavorit gehandelt – und den hohen Erwartungen nie gerecht. Nun sind sie nach dem besten Saisonstart der Vereinsgeschichte mit 16:2 Punkten erster Verfolger des noch ungeschlagenen Spitzenreiters Füchse Berlin (18:0). 

Melsungen zu Gast in Berlin

Am Donnerstag (19.00 Uhr/Dyn) kommt es in der Hauptstadt zum direkten Duell. «Wir haben keinen Druck und wollen einfach unser Spiel spielen», verkündete Nationalspieler Timo Kastening nach dem 32:25 gegen den HC Erlangen am Montagabend die Marschroute für das Topspiel und bekräftigte: «Wir wissen, wo wir herkommen. Wir müssen nicht Meister werden oder in die Champions League kommen.»    

Ausgeschlossen scheint das aber nicht. Während Meister THW Kiel (8:8) schwächelt und auch dessen als heißer Titelanwärter gehandelter Erzrivale SG Flensburg-Handewitt (12:6) schon einige Kratzer abbekommen hat, schnuppert Melsungen plötzlich Höhenluft. Dafür gibt es laut Allendorf, der von 2010 bis 2022 als Spieler das MT-Trikot trug, mehrere Gründe. 

«Unser größtes Saisonziel war es, wieder ein Team auf das Parkett zu schicken, in dem jeder für jeden kämpft. Das sollte unser Weg sein und den gehen wir gerade. Und natürlich haben wir mit den drei Sommer-Neuzugängen unheimlich viel sportliche und menschliche Qualität in die Mannschaft gebracht», sagte der 37-Jährige. Der spanische Regisseur Erik Balenciaga, der abwehrstarke Kreisläufer Adrian Sipos und der lettische Rückraumriese Dainis Kristopans haben das Team auf ein neues Level gehoben. 

Lob für Melsungen-Coach

Entscheidend für den Aufschwung ist aber das Wir-Gefühl. «Es gibt ein neues Miteinander auf und neben dem Feld. Wir leben das „Einer für alle, alle für einen“ – auch wenn immer mal Einzelne herausragen», beschrieb Nationalspieler Julius Kühn unlängst in der «Handballwoche» die Stimmung. «Wir verlieren nun weniger Worte über unseren ewig hohen Anspruch, machen uns keinen Kopf mehr, sondern gehen raus und tun und machen. Gemeinsam.»

Einen großen Anteil an der positiven Entwicklung hat auch Trainer Roberto Garcia Parrondo. Die Handschrift des 53 Jahre alten Spaniers, der Vardar Skopje 2017 zum Champions-League-Triumph und die Nationalmannschaft Ägyptens 2021 bis ins Olympia-Halbfinale führte, wird im dritten Jahr seiner Amtszeit immer deutlicher. «Er ist ein Trainer, der ein Spielsystem entwickeln und eine Mannschaft aufbauen kann. Wir wussten, dass das Zeit braucht. Die haben wir ihm auch gegeben», sagte Allendorf.

Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Die vielen Trainerwechsel hätten «zum Misserfolg beigetragen», bekräftigte der erst vor wenigen Tagen vom Sportdirektor zum Sport-Vorstand beförderte Allendorf. Der momentane Erfolg scheint den Vereinsverantwortlichen auf ihrem neuen Weg recht zu geben. «Die Ergebnisse, die wir bisher erzielt haben, sind schön. Damit sind wir sehr glücklich», sagte Allendorf. 

Noch viel mehr beeindrucke ihn aber die Art und Weise, wie das Team auftrete. Das hat auch im Umfeld für eine Aufbruchstimmung gesorgt. «Wir haben im Sommer gesagt, wir müssen die Leute, die uns jahrelang unterstützt haben, wieder begeistern und ins Boot zurückholen», berichtete Allendorf. Dies sei bisher überzeugend gelungen: «Man spürt die Euphorie und eine deutlich größere Nähe der Fans zur Mannschaft.»

Von Eric Dobias, dpa