Biathlon-Spätzünder Nawrath: Plötzlich an der Spitze

Fast wäre aus Philipp Nawraths Biathlon-Märchen nichts geworden. Als sich der 30-Jährige im Mai bei einem Fußballspiel den Mittelfuß brach und die Bänder riss, waren Starts im Weltcup plötzlich ganz weit weg, das Laufen an Krücken hingegen bittere Realität.

Keine sieben Monate später ist der Allgäuer plötzlich die Nummer eins der Welt, führt überraschend nach der ersten Station den Gesamtweltcup an und reist mit dem Gelben Trikot zu den Rennen ab Freitag nach Hochfilzen. «Es ist Wahnsinn. Man hat schon so viele Rennen hinter sich und dann passiert so was», sagte Nawrath der Deutschen Presse-Agentur: «Ich bin unglaublich dankbar für alle, die mir auf diesem Weg geholfen haben.»

Nawrath läuft seit 2016/2017 in der Eliteliga der Skijäger, sein Potenzial wurde immer wieder beschrieben. Aber die «PS auf die Straße zu bringen», wie es Sportdirektor Felix Bitterling beschrieb, gelang ihm viel zu selten. Bis er am Samstag erst im Sprint von Östersund gewann und es einen Tag später als Zweiter der Verfolgung noch einmal auf das Podest schaffte. Zur Belohnung führt er nach drei Einzelrennen mit einem Punkt in der Gesamtwertung vor dem Schweden Sebastian Samuelsson. «Klar, es ist erst der Beginn der Saison und es ist noch ganz weit weg», sagte Nawrath zum Gesamtweltcupsieg. Trotzdem war die Stärke der deutschen Männer bei den ersten Auftritten bemerkenswert.

Nawrath, der Risiko-Schütze

Die Spätzünder Nawrath und Roman Rees, der ebenfalls schon 30 ist, siegten in Östersund erstmals überhaupt und trugen jeweils Gelb. «Vielleicht musste erst die 3 beim Alter vorn stehen», scherzte Nawrath. Besonders geschockt waren die stark favorisierten Norweger, die offenbar Probleme mit dem neuen fluorfreien Skiwachs haben. «Früher konnte man ohne viel Kraft im Oberkörper auf den Skiern fliegen. Ich glaube, jetzt ist das nicht mehr der Fall», sagte der fünfmalige Olympiasieger Johannes Thingnes Bö, der noch auf seinen ersten Triumph wartet: «Jetzt bin ich einfach zu schwach, also muss ich mehr Muskeln aufbauen.»

Das muss Kraftpaket Nawrath keinesfalls, zumal auch die Ski bestens funktionierten. Und endlich klappt es auch mit dem Stehendschießen, das seine große Schwäche war. Mit dem Wechsel von Bundestrainer Mark Kirchner zu Uros Velepec verschob sich der Fokus zum schnellen Schießen mit viel Risiko. Nawrath setzt das ohne Rücksicht auf Verluste konsequent um. «Er hat das Risiko-Schießen perfekt gemacht», lobte Velepec.

Zu viele Fehler kosteten Nawrath schon mehrfach gute Ergebnisse. So wie mit der deutschen Olympia-Staffel in Peking im Vorjahr. Als Schlussläufer musste er im Stehendschießen in die Strafrunde, vergab so nicht nur eine Medaille, sondern sogar den möglichen Olympiasieg. «Es tut mir so leid», flüsterte Nawrath damals im Ziel zu Teamkollege Erik Lesser. «Er hätte ein Superstar werden können, wenn er heute die Goldmedaille abgeräumt hätte», sagte Lesser damals. 

Wie lange behält Nawrath das Gelbe Trikot?

Doch statt Edelmetall gab es nur den vierten Platz. Nawrath erholte sich von dem Tiefschlag und ist nun in einer neuen Position. Kaum jemand hatte so früh deutsche Siege bei den Männern erwartet, ihnen gelang sogar ihr bester Start jemals. Nach den Rücktritten von Arnd Peiffer, Simon Schempp und Lesser galt Benedikt Doll als einzig verbliebenen Weltmeister als Hoffnungsträger. Doch vor allem Nawrath glänzte.

Ob er das Gelbe Trikot lange halten kann? Es wird jedenfalls eine enorm schwere Aufgabe. «Ich möchte darum kämpfen», sagte er. Tipps gibt’s auch von Michael Greis. Beide sind in Füssen geboren und Mitglieder im Skiklub Nesselwang. Als Nawrath noch als Kind Greis 2002 bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City im Fernsehen sah, wollte er auch Biathlet werden. «Man kann schon sagen, dass ich seinetwegen angefangen habe. Heute haben wir ständig Kontakt», sagte Nawrath. Und natürlich war auch Greis, der 2006 dreimal Gold bei den Winterspielen in Turin gewann, unter den Gratulanten. «Das Handy war stark überfordert», verriet Nawrath, der aber alle Glückwunschnachrichten beantworten will. «Für mich war es nicht überraschend, sondern eher Bestätigung was möglich ist, wenn Philipp ein perfektes Rennen abliefert», sagte Greis der dpa.

Ganz persönlich gratulierte Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier. «Ich habe mich sehr für Philipp gefreut. Wir kennen uns lange», sagte die ZDF-Expertin. Denn was nicht so bekannt ist: Auch Nawrath gehörte früh zu einer Trainingsgruppe um Coach Bernhard Kröll mit Dahlmeier, Magdalena Neuner und Miriam Gössner, die alle Weltmeisterinnen wurden. «Ich bin sehr dankbar, dass ich damals 2011 in der Gruppe aufgenommen wurde», sagte Nawrath. Von dort führte ihn der Weg weiter nach Ruhpolding, dann in den Weltcup und sechs Jahre später an dessen Spitze. «Ich werde alles dafür tun, dass es so weitergeht», sagte Nawrath.

Von Thomas Wolfer, dpa