Den Ort des angepeilten Triumphs kennt Andreas Wellinger schon seit Schulzeiten. Damals fuhr der junge Bayer von Berchtesgaden nach Bischofshofen, um an seiner Technik zu feilen und ein besserer Skispringer zu werden.
Diesmal tritt Wellinger auf der Paul-Außerleitner-Schanze im Pongau an, um seine Karriere im Duell mit dem Japaner Ryoyu Kobayashi final zu krönen und Sport-Deutschland nach 22 Jahren des Wartens von der Titellosigkeit bei der Vierschanzentournee zu erlösen.
«Ich weiß schon, worum es geht», deutete Wellinger, der sonst fast nur über seine Sprünge und nicht über die historische Chance sprechen will, an. Es geht darum, ob er auf Sven Hannawald, der 2002 als bisher letzter Deutscher die Tournee-Gesamtwertung gewonnen hat, folgen kann. Der Showdown in Bischofshofen an diesem Samstag (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) bietet Spannung wie lange nicht mehr.
«Vorne raushämmern»
Auch wenn Kobayashi nach drei zweiten Plätzen und mit 4,8 Punkten Vorsprung als Favorit ins Rennen geht, bleibt Wellinger hoffnungsfroh – und angriffslustig. «Ich werde voll aufs Pedal steigen, mit Selbstvertrauen das Ding vorne raushämmern und dann möglichst lange in der Luft bleiben, sauber landen und dann wird’s eine Ergebnisliste geben, wo ihr dann an meinem Gesichtsausdruck sehen werdet, ob ich zufrieden damit bin oder nicht», sagte der 28-Jährige.
Während sein Rivale aus Japan den goldenen Adler schon zweimal gewonnen hat, wäre es für Wellinger der Höhepunkt seiner bisherigen Sportlerkarriere. Der üppige Siegerscheck in Höhe von 100.000 Schweizer Franken (rund 107.000 Euro) wäre angesichts des enormen Prestigewerts und der sportlichen Bedeutung wohl eher Nebensache. Im Gegensatz zu seinem Olympiasieg 2018 in Südkorea wären diesmal sogar tausende Zuschauer da. Die Kulisse in Pyeongchang war damals einer sportlichen Krönung unwürdig.
Kein Joker im deutschen Team
Doch Wellinger erwartet auf der riesigen Schanze der größtmögliche Gegner: Kobayashi, der pünktlich zur Tournee mal wieder in Topform ist. «Er ist Grand-Slam-Sieger, er kann alle Schanzen. Er kann auch Bischofshofen», sagte der ehemalige Bundestrainer Werner Schuster der «Allgäuer Zeitung» und der «Heilbronner Stimme» mit Blick auf Kobayashis Vierfachsieg 2018/19. Wellinger habe «sich einen verdammt harten Gegner ausgesucht. Es gibt keinen härteren Knochen als Kobayashi», fügte Schuster an. Topfavorit Stefan Kraft aus Österreich tippt auf Kobayashi als Sieger.
Seit Hannawald schafften es in Michael Neumayer, Severin Freund, Wellinger, Markus Eisenbichler, Stephan Leyhe und Karl Geiger alleine sechs verschiedene deutsche Athleten aufs Gesamtpodest. Aber keiner mehr ganz nach oben. Ändert sich das am Samstag, würde auch die erfolgreiche Amtszeit von Bundestrainer Stefan Horngacher einen bisherigen Höhepunkt finden.
An der Herangehensweise soll die besondere Chance aber nichts ändern. «Es gibt keinen Joker. Es bleibt alles gleich. Er muss einfach gut skispringen, gut landen, schnell runterfahren und dann ist alles möglich», sagte Horngacher vor dem Finale.
Wellinger mit Jägerrolle zufrieden
Wellinger war nach seinem Auftaktsieg in Oberstdorf an den Stationen zwei und drei der Gejagte. Nun ist er wieder der Jäger und muss umgerechnet 2,67 Meter aufholen. «Ich bin auf jeden Fall mal zufrieden, dass ich in der Ausgangsposition bin, dass ich der Jäger sein darf, und dann ist Bischofshofen eine Schanze, die ich extrem gerne mag», sagte der Ruhpoldinger, der aus seiner Heimat deutlich schneller in Bischofshofen ist als in Oberstdorf oder Garmisch.
Um das Nervenkostüm des Olympiasiegers macht sich niemand Sorgen. Bislang blieb Wellinger in den sechs Tournee-Sprüngen ohne Makel. «Er macht keine großen Fehler. Er ist bei sich, kann sich gut konzentrieren, bringt die Sprünge gut durch – auch bei schwierigen Verhältnissen», sagte Horngacher über seinen derzeit besten Schützling. Vor der Tournee war das deutsche Team mit einer dreiköpfigen Spitze Wellinger, Geiger und Pius Paschke erwartet worden. Vor dem Finale ist nur noch einer übrig.