BVB im Partyrausch: Wembley als historischer Coup

Jadon Sancho tanzte singend auf dem Tisch, hier und da hatten die siegestrunkenen Champions-League-Helden von Borussia Dortmund schon eine Flasche Bier in der Hand. Kurz nach dem Abpfiff des sensationellen 1:0 (0:0) im Halbfinal-Rückspiel bei Paris Saint-Germain begann für den BVB in der Umkleide des Prinzenpark-Stadions die Einstimmung auf den großen Final-Traum in Wembley. «Es war schwer, die Jungs aus der Kabine zu bekommen. Man versackt da schnell», sagte Julian Brandt.

Dortmunder Party bis zum Morgen

Noch in der Nacht verbreiteten sich in den sozialen Medien Videos der BVB-Party. Die Mannschaft schmetterte euphorisch den eigentlich eher ruhigen Popsong «Someone Like You» von Adele. Der große Tisch in der Kabine wurde zwischenzeitlich zur Rutschbahn zweckentfremdet. «Vor fünf oder sechs Uhr» sollte es nicht ins Bett gehen, kündigte Nico Schlotterbeck an. Teamkollege Marcel Sabitzer wirkte ähnlich beseelt: «Wenn du heute nicht feierst, wirst du nie mehr feiern.»

Dass bereits am kommenden Samstag das nächste Bundesliga-Spiel in Mainz ansteht, geriet an diesem für den BVB historischen Abend gänzlich in Vergessenheit. Aus Freude über den dritten Finaleinzug in der Champions League nach dem Triumph gegen Juventus Turin von 1997 und der bitteren 1:2-Niederlage 2013 in Wembley gegen den FC Bayern ließen es die BVB-Profis mächtig krachen. Die T-Shirts mit der Aufschrift «Yellow Wonder Wall» und «London 2024 – Finale» lagen schon am Spielfeldrand bereit und wurden flugs übergestreift.

«In der Kabine war die Hölle los. Laute Musik, Alkohol, gute Stimmung», verriet Sportdirektor Sebastian Kehl. «Sicher das ein oder andere Glas Rotwein» werde getrunken werden. «Vielleicht kommt auch mal eine Zigarre raus», sagte der Ex-Nationalspieler, der 2013 im Kader stand.

Der andere BVB in der Königsklasse

Wie so oft in dieser zumindest in der Bundesliga eher bescheidenden Saison wuchs der BVB auf internationalem Terrain über sich hinaus. Dank einer leidenschaftlichen Abwehrleistung blieb das Team von Trainer Edin Terzic gegen das Starensemble um Kylian Mbappé ohne Gegentor – sowohl im Hin- (1:0) als auch im Rückspiel. Dass bei gleich vier Aluminium-Treffern des französischen Meisters am Dienstag auch Glück im Spiel war, konnte die Freude der Dortmunder nicht trüben: «Wir haben in der Liga zu Recht viel auf die Schnauze bekommen», befand Brandt. «Aber in der Champions Lage haben wir ein ganz anderes Gesicht gezeigt. Deshalb haben wir uns das Finale verdient.»

Die internationale Presse bewertete das ähnlich. «Es war ein Abend, an dem Borussia Dortmund eines der schönsten Kapitel seiner Geschichte schrieb, an dem eine scheinbar unscheinbare Mannschaft – ohne große Namen – etwas völlig Erstaunliches vollbrachte», kommentierte der englische «Guardian». «Dortmund erobert Paris, während PSG und Mbappé straucheln», titelte die spanische Zeitung «Marca». «Die Mannschaft von Edin Terzic hatte zwar schwächere Spieler, aber eine größere kollektive Stärke, und sie hat sich den Einzug ins Finale im kommenden Monat redlich verdient», befand «The Telegraph».

Der Spieler des Spiels

Angeführt von einem erneut überragenden Hummels, der im internationalen Rampenlicht zum bereits vierten Mal in dieser Saison zum «Man of the Match» gekürt wurde und mit seinem wuchtigen Kopfball in der 50. Minute den Siegtreffer erzielte, veredelten die Dortmunder ihren starken Auftritt in der Königsklasse. Schon die wohl schwerste Gruppe mit Paris, Newcastle und AC Mailand hatten sie als Sieger abgeschlossen. Mit jeder Partie stieg das Selbstvertrauen. «Ich habe eh viel zu wenig Champions-League-Tore geschossen in meiner Karriere. Das ist ein guter Zeitpunkt aufzustocken», scherzte Matchwinner Hummels. 

Ungeachtet der Außenseiterrolle der Borussia für das Finale räumt der 35 Jahre alte Routinier, dessen Vertrag beim BVB zum Saisonende ausläuft und dessen Zukunft noch immer ungeklärt ist, seiner Mannschaft gute Titel-Chancen ein: «Es gibt für uns gar keinen Grund, nicht daran zu glauben, das Finale zu gewinnen.»

Neben Hummels geht Trainer Terzic als großer Sieger aus der Partie hervor. Sein taktischer Plan gegen Paris erwies sich in beiden Partien als ideal und ließ seine Kritiker verstummen. Der noch Ende Dezember vom Rauswurf bedrohte 41-Jährige wurde von den Fans in Sprechchören gefeiert. «Genugtuung verspüre ich nicht, die Freude überwiegt», sagte er freudestrahlend. Auf die Frage, wie man sich als Champions-League-Finalist fühlt, antwortete er: «Das hört sich gut an – surreal.» 

Nur mit der Finalteilnahme mag sich Taktgeber Brandt nicht zufriedengeben. «Alle wissen, wir haben noch nichts gewonnen, sondern uns nur für eine neue Erfahrung qualifiziert» Marco Reus, der neben Hummels schon 2013 beim Finale gegen die Bayern als einziger BVB-Profi bereits dabei war, sah das ganz ähnlich «Jetzt müssen wir den Henkelpott holen, sonst wäre es scheiße.»

Von Heinz Büse, dpa