Oleksandr Usyk hatte nach dem größten Triumph seiner Karriere keine Lust, über seine Sportart zu reden. Der Profiboxer wollte nach seiner historischen Vereinigung aller bedeutenden Weltmeistertitel im Schwergewicht einfach nur nach Hause. «Ich habe Neujahr verpasst, den Geburtstag meines Sohnes, dann den Geburtstag meines zweiten Sohnes, dann den meiner Tochter, dann die Geburt meiner Tochter», beklagte der Ukrainer die beschwerliche monatelange Vorbereitung vor dem beachtlichen Sieg gegen den zuvor unbesiegten Briten Tyson Fury. «Mein Fokus war nur auf diesem Kampf. Nun bin ich glücklich, zurück nach Hause zu kommen.»
«Für die Soldaten, die mein Land verteidigen»
Als dreifacher Weltmeister der wichtigen Verbände verließ er seine Familie, als unumstrittener Träger aller wichtigen WM-Titel kehrt er zurück. Der 37-Jährige bot der Boxwelt in der Nacht auf Sonntag einen Jahrhundertkampf der Extraklasse. Viele wähnten Fury nach den ersten Runden deutlich vorn – dann startete Usyk ab der achten Runde eine rasante Punkte-Aufholjagd. Er trieb Fury sogar spektakulär an den Rand des Knockouts.
Doch der Triumph war nicht nur für Usyk selbst ein riesiger Erfolg. Der Ukrainer widmete seinen Sieg seiner Familie, dem verstorbenen Vater und vor allem seinem Heimatland, das seit Februar 2022 von Russland in einem brutalen Angriffskrieg attackiert wird.
«Das ist für die Soldaten, die mein Land verteidigen», sagte Usyk dem Sender Sky. Usyk ließ sich auch nicht von Fury provozieren, der nach der Entscheidung der Ringrichters meinte, dass die Menschen auf der «Seite des Landes stehen, das sich im Krieg befindet» und damit einen kleinen Eklat auslöste. Die Ringrichter waren sich bei der Wertung nicht alle einig – es gab eine geteilte Entscheidung. Zwei sahen den stark zurück in den Kampf gekommenen Usyk vorn (115:112, 114:113), einer sah Fury knapp im Vorteil (114:113).
Klitschko dankt
Der frühere Box-Weltmeister Wladimir Klitschko gratulierte seinem Landsmann Usyk zum Besitz aller bedeutenden WM-Titel – und hob die Bedeutung für das vom Krieg gezeichnete Land hervor. Bilder zeigen, wie Klitschko Usyk im Ring herzlich nach dem Kampf umarmte. Laut dem früheren Profiboxer, der viele Kämpfe in Deutschland austrug, gebe der Triumph den Ukrainern Hoffnung.
«Dieser Sieg ist extrem wichtig für uns Ukrainer», sagte Klitschko dem Sender «TNT Sports». «Jede Nacht und jeden Tag bombardieren uns die Russen mit Raketen und Kamikaze-Drohnen», fügte er hinzu. «Wir werden nicht nur im Boxring kämpfen und einen Sieg erringen, sondern auch in dem sinnlosen Krieg, den Russland begonnen hat.»
Usyks Sieg war nicht nur ein Symbol, sondern auch ein sportliches Ausrufezeichen. «Es war eine brillante Nacht für den Boxsport», schwärmte Promoter Frank Warren. Das Duell war zuvor unter anderem wegen finanzieller Streitigkeiten der beiden Lager und einer aufsehenerregenden Cut-Verletzung Furys mehrmals verschoben worden.
Auf den Spuren von Lennox Lewis
Usyk erklärte, dass er sich keine Sorgen vor der Punkte-Entscheidung gemacht habe. Für das Duell gab es eine Rückkampfklausel. Beide Box-Superstars einigten sich noch im Ring auf eine Revanche. Nun ist Usyk der große Gejagte. Allerdings könnte seine Regentschaft nur kurze Zeit andauern. Medienberichten zufolge könnte der Kroate Filip Hrgovic als Pflichtherausforderer am 1. Juni gegen den Briten Daniel Dubois antreten. Dabei könnte es dann zu einem Kampf um den WM-Titel des Verbands IBF kommen.
Usyk zeigte sich am Sonntagmorgen in einem Sessel zunächst mit dem WBC-Gürtel, den er Fury abgeknöpft hatte. Dazu schrieb er bei Instagram: «Willkommen in der Familie.» Davor besaß er bereits die bedeutenden WM-Auszeichnungen der Verbände IBF, WBO und WBA – daneben noch jenen der IBO. Usyks Erfolg ist historisch. Zuletzt war der Besitz aller bedeutenden Titel vor 25 Jahren Lennox Lewis im Kampf gegen Evander Holyfield gelungen.
Auch aus deutscher Sicht war der Boxabend in Riad erfolgreich. Im Vorkampf bezwang der Schwergewichtsboxer Agit Kabayel den zuvor ungeschlagenen Kubaner Frank Sanchez und steht nun vor seinem lang ersehnten ersten WM-Kampf. Verdient schickte der Bochumer den chancenlosen Gegner nach sieben Runden durch Knockout auf den Boden. Der 31-Jährige ist durch den 25. Profi-Sieg der nächste Pflichtherausforderer des WBC-Weltmeisters im Schwergewicht. Und dann könnte Kabayels Gegner 2025 möglicherweise Usyk heißen.