Auf Julian Nagelsmanns Wunschzettel für den finalen Probelauf vor der Heim-EM steht vieles, nur eines nicht. Dass eine missglückte Generalprobe als gutes Omen für die Premiere gilt, «dieses Gesetz ist außer Kraft gesetzt», sagte der Bundestrainer in Mönchengladbach vor den 90 letzten Testminuten für die Heim-EM.
Möglichst viele Tore und viel EM-Lust will Nagelsmann am Freitag (20.45 Uhr/RTL) von seiner Turnier-Elf um die neu dazugekommenen Königsklassen-Könige Toni Kroos und Antonio Rüdiger sehen. «Die Spieler sind extrem gewillt, zu liefern», sagte er. Exakt eine Woche vor dem Eröffnungsspiel gegen Schottland soll aus dem Borussia-Park das Signal kommen, dass Fußball-Deutschland voller Vorfreude und Hoffnungen dem EM-Anpfiff entgegenfiebern kann. Hat der Gastgeber wieder eine Turniermannschaft, die Großes leisten und erreichen kann? «Ich sehe uns auf einem sehr guten Weg», sagte Nagelsmann optimistisch.
«Das letzte Testspiel ist einfach sehr wichtig für unser Selbstvertrauen. Wir wollen eine Aufbruchstimmung, wir wollen unsere Fans mitnehmen», sagte Abwehrchef Rüdiger. Der 31-Jährige will gemeinsam mit Anführer Kroos die Sieger-DNA und «den Killerinstinkt» von Real Madrid auf das Nationalteam übertragen. Das königliche Duo hatte beim ärgerlichen 0:0 gegen die Ukraine noch gefehlt, ebenso wie die Dortmunder Wembley-Verlierer Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck, die aber nicht zu Nagelsmanns EM-Wunschelf gehören.
Torgaranten gesucht: «Zusätzliche Option mit Fülle»
Gegen die Griechen erwartet Nagelsmann einen Sieg, um mit Rückenwind in den Endspurt der Vorbereitung gehen zu können. Der Gegner, Sensations-Europameister von 2004, hatte die EM-Teilnahme auf dramatische Weise im Playoff-Finale gegen Georgien durch eine Niederlage im Elfmeterschießen verpasst. «Wir sind alle hier, um zu gewinnen», sagte Kai Havertz. Der Arsenal-Profi wird wieder in der Sturmspitze beginnen.
Nach dem Chancenwucher gegen die Ukraine sollen Kroos und Rüdiger der Mannschaft einen weiteren Schub geben. Aber der Bundestrainer hob auch explizit den Wert von Füllkrug als klassischer Neuner in der Offensive hervor. Der 31-Jährige kann die beste Torquote im DFB-Kader vorweisen, elf Treffer in 15 Länderspielen. «Gut, dass wir in Fülle eine zusätzliche Option haben, einen weiteren Vollblutstürmer», sagte Nagelsmann.
Auf den Chefcoach kommt am Freitagabend aber auch noch eine unangenehme Aufgabe zu. Direkt nach dem Test wird Nagelsmann verkünden, welchen Spieler er noch streicht aus dem vorläufigen 27-Mann-Kader. Bis Mitternacht muss dem Dachverband UEFA der maximal 26 Akteure umfassenden Turnierkader gemeldet werden. «Es wird jemanden treffen, der es nicht verdient hat», sagte Nagelsmann nach intensiven Diskussionen im Trainerteam.
Wen ereilt das bittere EM-Aus? Beier? Koch?
Wen trifft’s? Hoffenheims Maximilian Beier, der mit einem couragierten Joker-Einsatz gegen die Ukraine inklusive Lattenschuss für sich warb. Der 21 Jahre alte Angreifer war anfangs erster Streichkandidat. Oder reduziert Nagelsmann den Defensivbereich um eine Planstelle, indem er den Frankfurter Robin Koch vorzeitig in den Urlaub schickt? «Die Entscheidung ist gefallen. Wir werden es nach dem Spiel final verkünden», sagte Nagelsmann zum Ablauf.
Ein Chefcoach denkt einen Kader aber nicht von den Hinterbänklern im Team, sondern vom harten Kern der Stammelf plus der größten Herausforderer. Und darum rückt im Borussia-Park Leroy Sané in den Fokus. Nach drei Spielen Sperre nach der Roten Karte im November gegen Österreich und einem Monat ohne Matchpraxis seit dem bitteren Königsklassen-Aus mit dem FC Bayern gegen Real Madrid erwartet Nagelsmann einen Leistungsnachweis.
Sané muss Leistungsnachweis liefern
Sané muss die Antwort liefern, wie viel er trotz seiner Schambein-Problematik der DFB-Elf bei der EM geben kann. «Er wird Minuten sammeln müssen», sagte Nagelsmann nach zwei vollen Trainingseinheiten des Münchner Angreifers mit der Mannschaft. «Aber Leroy ist ein Spieler, der für den Unterschied sorgen kann», sagte Nagelsmann zum Wert von Sané.
Beim 34-jährigen Kroos stellt sich die Frage danach, was er einbringen kann, spätestens nach den bemerkenswerten Comeback-Auftritten gegen Frankreich (2:0) und Holland (2:1) nicht mehr. Kroos ist das zentrale Teil im Nagelsmann-Puzzle. Maximal acht Spiele kann er bis zum Karriereende noch machen – das EM-Finale am 14. Juli in Berlin mitgezählt.
Wirtz über Anführer Kroos: «Wir können froh sein…»
Wie sehr gerade die Jüngeren zum Trophäensammler Kroos aufschauen, ließ Jungstar Florian Wirtz erkennen. «Wir können froh sein, dass er sich entschieden hat, uns bei der EM zu unterstützen und anzuführen», sagte der 21 Jahre alte Leverkusener Double-Gewinner.
Im Blickpunkt steht auch der Kapitän. Ilkay Gündogan ist noch nicht in Turnierform. Die «vielleicht härteste Saison» seiner Karriere beim FC Barcelona hat körperlich Spuren hinterlassen. «Ich habe extrem viele Minuten in den Knochen. Jetzt ist es das Ziel, bis zum Eröffnungsspiel topfit und bereit zu sein, alles in das Turnier zu investieren», sagte er.
Gündogan: Kapitänsamt keine Einsatzgarantie
Das Kapitänsamt begreift er dabei nicht als Garantie, in jeder EM-Partie gesetzt zu sein. «Ich glaube, dass der moderne Fußball sich verändert hat. Er ist nicht mehr so strukturiert, dass man sagt, der Kapitän muss immer spielen», sagte Gündogan. Auch er müsse sich «immer aufs Neue beweisen», sagte der 76-malige Nationalspieler.