Skandalen zum Trotz: Italiens Traum vom Sehnsuchtsort Berlin

Skandalen zum Trotz: Italiens Traum vom Sehnsuchtsort Berlin

Die Augen leuchten, wenn Gianluigi Buffon sich an jene magische Nacht von Berlin erinnert. Wie beim WM-Triumph 2006 ist das Olympiastadion einmal mehr das italienische Sehnsuchtsziel. Dort will die Squadra Azzurra im EM-Finale am 14. Juli ihren Titel erfolgreich verteidigen und wie das Team um Buffon 2006 mit der Trophäe jubeln.

Wie damals reisen die Azzurri geplagt von Skandalen und nicht als Topfavorit an. «Wir haben gerne und oft eine schlechte Figur gemacht, wenn wir von der Pole Position gestartet sind», sagte Buffon, der mittlerweile Delegationschef der Nationalelf ist. «Wenn wir dagegen eine Reihe dahinter gestartet sind, waren wir oft für eine Überraschung gut.»

Darauf hoffen die Italiener auch dieses Mal. Denn zum engsten Favoritenkreis zählt der Titelverteidiger vor dem Start des Turniers am Freitag nicht. Zu wechselhaft präsentierte sich das Team in der Qualifikation und in den Testspielen, zu gravierend scheinen die Schwächen des Kaders. «Auch 2021 hat Italien auf dem Papier nicht zu den stärksten Teams gezählt», sagte Nationaltrainer Luciano Spalletti. «Titelverteidiger zu sein, ist für uns ein Ansporn.»

Spalletti vom Team überzeugt

Auch die Vorbereitung auf die EM verlief alles andere als störungsfrei: Der viel kritisierte Abgang von Europameister-Coach Roberto Mancini nach Saudi-Arabien, ein neuer Manipulationsskandal, Rassismus-Vorwürfe und Verletzungssorgen beschäftigten das Team. Dazu kommt die sportliche Ausgangslage mit der schweren Gruppe B und den Gegnern Albanien (15. Juni), Spanien (20. Juni) und Kroatien (24. Juni). Das alles lässt in Italien den Glauben an die Chance auf eine erfolgreiche Titelverteidigung schwinden. «Wir sind überzeugt, dass wir eine gute Mannschaft haben», sagte Spalletti fast schon trotzig.

Der 65-Jährige erinnerte noch einmal daran, wo der viermalige Weltmeister aktuell herkommt. Die WM-Endrunden 2018 und 2022 verpasste die stolze Fußball-Nation. Vor allem das Scheitern in den Playoffs 2022 gegen Außenseiter Nordmazedonien nur wenige Monate nach dem EM-Titelgewinn hinterließ Spuren. «Wir versuchen, weiterzuwachsen, aber wir kommen von einer verpassten WM-Qualifikation», mahnte Spalletti, dessen Team sich auch dieses Mal erst spät durch ein 0:0 gegen die Ukraine zum EM-Ticket gezittert hatte.

Das Trauma der verpassten WM-Teilnahmen wollen die Azzurri mit starken Leistungen in Deutschland ebenso hinter sich lassen wie die Negativ-Schlagzeilen der vergangenen Monate. Die Rassismus-Vorwürfe gegen Francesco Acerbi dürften allein deshalb kein Thema mehr sein, weil der Abwehrspieler wie Youngster Giorgio Scalvini in Deutschland verletzt fehlt und die Personalsorgen von Spalletti vergrößerte.

Tonali fehlt der Squadra Azzurra

Ganz anders ist die Lage im Manipulationsskandal, der Italiens Fußball im Herbst 2023 erschütterte. Nach den Vorwürfen gegen die Nationalspieler Sandro Tonali, Nicolò Zaniolo und Nicolò Fagioli rückte damals sogar die Polizei im Trainingszentrum der Nationalelf in Coverciano bei Florenz an. «Das war ein Trauma für die Mannschaft», sagte Spalletti.

Der hochgelobte Mittelfeldspieler Tonali fehlt bei der EM gesperrt, Fagioli ist dagegen dabei – obwohl seine siebenmonatige Sperre erst im Mai ablief. «Ich habe immer gehofft, in die Nationalelf zurückzukehren, aber ich muss zugeben, dass mich diese Nominierung überrascht hat», sagte der 23-Jährige. Die EM-Teilnahme sei für ihn «ein Traum». Spalletti hofft, dass Fagioli nach der langen Pause eine gewisse Frische mitbringt. «Er hat diese Qualität und diese Inspiration», lobte er den Mittelfeldspieler von Juventus Turin.

Buffon setzt darauf, dass die Probleme und die Außenseiterrolle – ähnlich wie 2006, als kurz vor der WM ein Manipulationsskandal die gesamte Serie A und die Nationalmannschaft erschüttert hatte – das Team und vielleicht sogar die gesamte Nation zusammenschweißen. «Italien anzufeuern, ist immer emotional», sagte der 46-Jährige. «Es ist das einzige Ereignis, bei dem wir alle zu Brüdern werden. Das ist die wahre Magie der Nationalelf.»

Von Miriam Schmidt, dpa