In der Fußball-Karriere des Klaus Gjasula hat alles immer etwas länger gedauert. Erst mit 26 Jahren wechselte er in die 3. Liga. Erst mit 29 machte er sein erstes Bundesliga-Spiel. Und erst mit 34 Jahren nimmt der in Tirana geborene und in Freiburg im Breisgau aufgewachsene Mittelfeldspieler jetzt mit der albanischen Nationalmannschaft zum ersten Mal an einem großen EM-Turnier teil.
Doch beim dramatischen 2:2 (1:0) seiner Albaner gegen den großen Favoriten Kroatien hat sich all das Warten, die Ausdauer und die Hartnäckigkeit am späten Mittwochnachmittag im Hamburger Volksparkstadion gelohnt: Als erster Spieler in der Geschichte von Welt- und Europameisterschaften schoss Gjasula nach einer Einwechselung noch je ein Eigentor und einen eigenen Treffer.
Sein Missgeschick zum 2:1 für die Kroaten in der 76. Minute hätte dieses Spiel aus albanischer Sicht beinahe noch aus der Hand gegeben. Sein 2:2 in der fünften Minute der Nachspielzeit sorgte noch für einen hochverdienten und hart erkämpften Punkt. Ein Profi von Bundesliga-Absteiger Darmstadt 98 stahl all den kroatischen Stars von Real Madrid (Luka Modric) oder Manchester City (Josko Gvardiol) in diesem EM-Spiel die Show.
«Es ist unglaublich. Das war ein Wechselbad der Gefühle für mich», sagte Gjasula, als er nach dem Spiel mit einem Pizzakarton in der Hand Interviews gab.
Ein Wechselbad der Gefühle für Gjasula
Der defensive Mittelfeldspieler war erst vier Minuten vor seinem Eigentor (76.) und zwei Minuten vor dem 1:1 durch den Hoffenheimer Bundesliga-Stürmer Andrej Kramaric (74.) eingewechselt worden. Das habe ihm «extrem viel bedeutet. Ich komme meist nur rein, wenn man führt», sagte er. «Und in so einer Gruppe ist es nicht einfach. Ich hätte auch damit rechnen müssen, keine Minute bei der EM zu spielen. Jetzt ist es so gekommen. Mit dem Tor und so einem tollen Erlebnis ist das wirklich Wahnsinn.»
Ein Fakt am Rande ist, dass Gjasula in der 2. Bundesliga schon einmal ein Eigentor und einen Treffer ins richtige Tor in nur einer Partie unterbrachte: Im Januar 2022 war das beim 2:2 von Darmstadt 98 gegen den Karlsruher SC. «Ich glaube, ich muss öfter Eigentore schießen», sagte er mit einem Grinsen.
Eine beliebte Anekdote ist auch, warum er und sein früher für den MSV Duisburg und den 1. FC Magdeburg aktiver Bruder mit Vornamen Klaus und Jürgen heißen. Als die beiden Geschwister in den 80er-Jahren zur Welt kamen, lief im deutschen Fernsehen die Serie «Schwarzwaldklinik». Der Hauptdarsteller hieß Klausjürgen Wussow – und der große TV-Erfolg gefiel vor allem Großmutter Gjasula sehr.
Stimmung bei den Albanern besser als bei den Kroaten
Dass er das bislang wichtigste Tor seiner Karriere auch noch im Hamburger Volksparkstadion schoss, rundete dieses Erlebnis für Gjasula noch ab. Denn der HSV war in der Saison 2020/21 die einzige Karrierestation für ihn, bei der es nach persönlich erfolgreichen Zeiten in Offenbach, bei den Stuttgarter Kickers, beim Halleschen FC und vor allem beim SC Paderborn nicht mehr bergauf ging. «Ich hatte hier immer verrückte Spiele, im positiven wie im negativen Sinn», sagte er. «Der HSV ist mit Abstand der krasseste Verein, bei dem ich je gespielt habe. Er ist nicht nur deutschlandweit bekannt, sondern weltweit bekannt.»
Albaniens brasilianischer Trainer Sylvinho lobte seinen Glücksgriff Gjasula ebenfalls: «Es ist schwierig, in so ein Spiel ‚reinzukommen und sich an das Tempo zu gewöhnen. Aber am Ende hat er es gemacht. Er war am Ende für alle da und hat ein Tor geschossen!»
Nüchtern betrachtet wird es für die Albaner mit nur einem Punkt nach zwei Spielen nun trotzdem schwer, das Vorrunden-Aus zu verhindern. «Wir wissen auch, dass es gegen Spanien nochmal eine Mammutaufgabe wird», sagte Gjasula. «Und wir wissen, dass wir eigentlich einen Dreier brauchen, um die Gruppe zu überstehen.» Die Stimmung ist trotzdem besser als bei den punktgleichen Kroaten: Für den WM-Dritten und seinen Superstar Luka Modric wäre ein Vorrunden-Aus die deutlich größere Enttäuschung.