Deutschland steht dank Siegtorschütze Marcel Noebels und eines erneut überragenden Torhüters Mathias Niederberger vor dem nächsten Eishockey-Wunder.
Von seinem schwindelerregenden Move im Penalty-Krimi gegen die Schweiz bekam Noebels selbst kurzzeitig weiche Knie. Erst als sich die deutschen Eishockey-Cracks nach dem erneuten WM-Coup beim 3:2 (0:1, 1:1, 1:0) nach Penaltyschießen gegen den Erzrivalen Schweiz auf den Siegtorschützen warfen, hatte der seine Kraft wieder, um den historischen Halbfinal-Einzug zu bejubeln.
«Ihr könnt mir glauben, dass mein Herz um einiges tiefer gerutscht ist», bekannte der 29 Jahre alte Angreifer der Eisbären Berlin, der pünktlich zum Viertelfinal-Showdown in Riga wieder fit geworden war. «Ich bin stolz und froh, Teil dieser Mannschaft zu sein. Was für eine geile Leistung.»
Ein Stück Eishockey-Geschichte
Es war ein Kraftakt und ein Sieg des Willens, der die Schweizer wie schon im Viertelfinale des Heim-Turniers 2010 niederrang und zum zweiten Mal überhaupt erst in ein WM-Halbfinale führte. Am 5. Juni hat Deutschland nun gegen Titelverteidiger Finnland die Chance auf die erste WM-Medaille seit Silber 1953.
Die Schweizer hatten sich als klarer Favorit gesehen und im Spiel nach einer 2:0-Führung schon wie der Sieger gefühlt. Doch Tom Kühnhackl (38. Minute) und Leon Gawanke mit dem Ausgleich 44 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit sorgten für lange Gesichter bei den spielerisch besseren Eidgenossen. «Die Mannschaft hat wieder ein Stück deutsche Eishockey-Geschichte geschrieben», sagte der überwältigte Bundestrainer Toni Söderholm: «Wir sind gemeinsam auf einer unglaublichen Reise für die Mannschaft.»
Die erinnert bereits wieder an den wundersamen Lauf zum olympischen Silber von 2018 – auch damals besiegte Deutschland die Schweiz in einem K.o.-Spiel knapp. «Als wäre es wieder für uns gemacht», befand Noebels, der schon vor drei Jahren beim bislang größten deutschen Eishockey-Erfolg bislang dabei war, zu den Parallelen zu Pyeongchang.
Zwei Spieler machen den Unterschied
Beim besten Spieler der Deutschen Eishockey Liga war gar nicht klar, ob er nach einer im Vorrundenfinale gegen Lettland (2:1) erlittenen Verletzung gegen die Schweiz spielen konnte. Erst am Morgen meldete sich der Torjäger fit und verlud mit dem letzten Penalty den Schweizer Torhüter Leonardo Genoni. «Es ist, glaube ich, ungefähr ein Tor, von welchem man eigentlich Briefmarken produziert», sagte Söderholm zum erfolgreichen akrobatischen Täuschungsmanöver Noebels‘.
Zuvor war nach den Treffern von Verteidiger Ramon Untersander (16.) vom SC Bern und Stürmer Fabrice Herzog (34.) vom HC Davos jede Menge Arbeit vonnöten. Nur selten kam Deutschland einmal schnell durch die neutrale Zone und hielt sich konstant im Angriffsdrittel. Die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes hatte doppelt so viele Torschüsse wie die Schweizer. Deren Chancen-Qualität war indes wesentlich größer. Doch in Mathias Niederberger hatte das deutsche Team einen gewohnt starken Rückhalt. Der Berliner Meisterkeeper überragte auch im Penaltyschießen, in dem ihn nur NHL-Angreifer Timo Meier überwand.
Geschichte wiederholt sich
Für das Turnier unter den besonderen Corona-Umständen hatten die deutschen Cracks gar den WM-Titel nicht ausgeschlossen. Nach wechselhaften Auftritten in der Vorrunde und dem erst im letzten Gruppenspiel gesicherten Einzug in die K.o.-Runde sind sie nun als eine von nur noch vier Mannschaften im Turnier. Erst zum zweiten Mal bestreitet das DEB-Team jetzt ein WM-Halbfinale, bei den bisherigen WM-Medaillen 1930, 1932, 1934 und 1953 war der Modus ein anderer.
«Wir hoffen natürlich, dass es genau so weiter geht – egal, gegen wen», sagte der zweimalige Stanley-Cup-Sieger Kühnhackl. Der Halbfinalgegner stand in dem Moment noch nicht fest.