Die so lange vermissten Zuschauer applaudierten begeistert, Kapitän Manuel Neuer überreichte Torwarttrainer Andreas Köpke sein Jubiläumstrikot.
«Wir haben viele gute Dinge gemacht», sagte Bundestrainer Joachim Löw nach dem 7:1 (5:0) gegen Lettland. «Es hat sich schon gut angefühlt heute auf dem Platz», formulierte es Thomas Müller nach dem Gang zu den rund 1000 Fans im Stadion.
Das Torfestival beim 100. Länderspiel von Keeper Neuer und einem ersten kleinen Fan-Comeback hat Lust auf die Fußball-EM geweckt. Der nur vom Gegentreffer genervte Neuer durfte sich in seinem Tor über einen muntere Kantersieg gegen Aufbaugegner Lettland freuen, das jedoch für den Hammerauftakt im ersten Gruppenspiel gegen Frankreich in einer Woche nichts zu sagen hat.
Gegen Frankreich wird es schwerer
«Natürlich wissen wir, dass Frankreich eine andere Hausnummer ist als Lettland», sagte auch Müller bei RTL. Dann geht es in München für Löw und die Nationalelf vor dann 14.000 Zuschauern gegen den Weltmeister mit Weltklassespielern wie Kylian Mbappé oder Antoine Griezmann und nicht mehr gegen namenlose Sparringspartner wie Lettlands Torschützen Aleksejs Saveljevs (75.) oder den hilflosen Torwart Roberts Ozols.
Die zugelassenen Zuschauer in der Düsseldorfer Arena hatten jedenfalls ihren Spaß an der Darbietung der DFB-Auswahl, die in der offensiven Inszenierung von Löws EM-System mit Abwehr-Dreierkette nach Herzenslust kombinieren und auch treffen durfte. Tempo und Intensität müssten jedoch «noch mehr gesteigert werden», forderte Löw und prophezeite: «Dann ist das bis nächste Woche in Ordnung.»
Robin Gosens eröffnete mit seinem ersten Länderspieltreffer den Torreigen (19. Minute). Ilkay Gündogan (20.), Müller mit seinem Tor-Comeback im DFB-Team nach drei Jahren (27.), Serge Gnabry (45.), Timo Werner (50.) und Leroy Sané (76.) legten nach. Der Treffer des starken Kai Havertz wurde als Eigentor von Ozols gewertet (39.).
Ehrung für Jubilar Neuer
«Das Ergebnis war nicht das Wichtigste heute. Die Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollten und es dann auch umsetzen konnten, das war wichtig», analysierte Müller. Dessen Münchner Vereinskollege Neuer hatte seinen größten Auftritt schon vor dem Anpfiff, als er durch ein Spalier der Teamkollegen und Betreuer den Rasen betrat.
Im 100. Länderspiel freute er sich über seinen 69. Sieg – das 43. zu Null blieb ihm aber als Geschenk verwehrt. Aber auch für ihn zählt es erst bei der EM. «Ich tippe auf einen klaren 6:0-Sieg», hatte Rekordnationalspieler und TV-Experte Lothar Matthäus bei RTL gesagt – und sollte am Ende fast Recht behalten.
Die DFB-Elf startete offensivfreudig in die Partie und setzte damit die taktische Vorgabe des nach der EM scheidenden Bundestrainers um. Dieser beorderte Müller und Havertz gemeinsam in die Startelf. Gnabry komplettierte die Spitze. In der Defensive setzte Löw wie schon beim 1:1 im ersten Länderspiel während der EM-Vorbereitung gegen Dänemark auf eine Dreierkette, die er auch für das erste Gruppenspiel am 15. Juni in München gegen Weltmeister Frankreich plant. Mats Hummels, Antonio Rüdiger und Matthias Ginter verlebten – wie Neuer – bei optimalen äußeren Bedingungen einen weitgehend geruhsamen Abend.
Müller und Havertz brillieren
Kurz vor dem wunderbar herausgespielten Tor zum 3:0 trieb der Schlussmann seine Vorderleute mit einem dreifachen «Tempo, Tempo, Tempo» nach vorne. Dies war jedoch eigentlich nicht nötig. Alle elf Spieler, die auf dem Platz standen, empfahlen sich nachdrücklich für einen Startelf-Einsatz gegen die Franzosen. Müller (1.) und Havertz (2.) setzten schon in den ersten 120 Sekunden die ersten Akzente, ehe die Elf ein paar Minuten brauchte, um sich zu finden und zu festigen.
Dann aber wurde es rasant und teilweise spektakulär mit sehenswerten Spielzügen, effektiven Abschlüssen und tollen Toren. Vor allem Chelsea-Profi Havertz verkörperte Selbstvertrauen und Spielwitz par excellence. Dieser sei «im Moment getragen von einer Euphoriewelle» und könne mit seiner Qualität und seinen Fähigkeiten der Mannschaft einiges geben», hatte Löw kurz vor der Partie gesagt.
Der Siegtorschütze aus dem Champions-League-Finale gegen Manchester City (1:0) glänzte mit seinen technischen Fertigkeiten auf engsten Räumen, überzeugte als Vorbereiter und Vollstrecker und durfte sich in der zweiten Halbzeit ausruhen. Für ihn kam sein Londoner Vereinskollege Werner. Der zuletzt kritisierte Leroy Sané ersetzte seinen Münchner Mitspieler Gnabry. Der von Löw geschürte Konkurrenzkampf beeinflusste das deutsche Spiel nicht negativ. Sané hatte nach 65 Minuten das 7:0 auf dem Fuß, schoss aber nach Vorarbeit von Joshua Kimmich und Toni Kroos aus kurzer Distanz knapp vorbei.
Genesener Kroos im Mittelfeld wieder dabei
Routinier Kroos spielte erstmals nach seiner Corona-Infektion wieder. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid war mit Verspätung ins Trainingslager in Seefeld gereist. Während Müller erstmals seit mehr als drei Jahren und dem 1:1 gegen Spanien am 23. März 2018 wieder im Trikot der Nationalelf traf, beendete Werner zwar nur eine kürzere Tor-Flaute, wirkte aber nach dem 6:0 erleichtert und glücklich.
Kurzzeitig hatte ein Corona-Fall bei den Letten für Aufregung gesorgt. Doch kurz vor der Partie gab der Verband Entwarnung, so dass das Spiel – zum Glück für die Fans – angepfiffen werden konnte.