Auf nach Wembley! Mit 364 Tagen Verspätung beginnt am Freitag die von der Corona-Krise massiv beeinflusste Fußball-EM in elf Städten.
Angesichts schwankender Inzidenzen bleibt das paneuropäische Turnier ein Wagnis – insbesondere für die Fans, die auch in München wieder ins Stadion dürfen. Politik und Sport erhoffen sich dennoch ein «Signal» während der Pandemie, und Bundestrainer Joachim Löw freut sich auf eine möglichst bis zum Finale in London andauernde Abschiedstour, die von warmen Worten der Kanzlerin begleitet werden soll. «Klar wollen wir unbedingt ganz weit kommen», sagte Löw im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Für den Vorabend des Eröffnungsspiels zwischen der Türkei und Italien in Rom am Freitag (21.00 Uhr) ist eine Video-Schalte der Nationalmannschaft mit Angela Merkel geplant. Normalerweise wäre die Bundeskanzlerin persönlich im Trainingslager oder im Teamquartier in Herzogenaurach vorbeigekommen – aber was ist schon normal in Corona-Zeiten? Wie die anderen 23 EM-Teilnehmer hat sich die DFB-Auswahl längst in eine sogenannte Blase begeben, um das Risiko von das gesamte Turnier gefährdenden Infektionen zu minimieren.
«Veranstaltung von weltweiter Dimension»
«Es wird die erste Veranstaltung von weltweiter Dimension sein, die seit Ausbruch der Pandemie durchgeführt wird – die perfekte Gelegenheit, der Welt zu zeigen, dass Europa anpassungsfähig ist», sagte Aleksander Ceferin, Präsident der Europäischen Fußball-Union, etwas hochtrabend. «Europa lebt und feiert das Leben. Europa ist zurück.» Die Voraussetzungen in den Ländern sind aber weiterhin nicht gleich.
In Großbritannien, wo in London und Glasgow gespielt wird, steigt der Anteil der zunächst in Indien entdeckten Delta-Variante des Coronavirus. Die Einstufung als Virusvariantengebiet macht Reisen von und nach Deutschland kompliziert, für die Fans mehr als für die Spieler, für die es eine Quarantäne-Ausnahmeregelung gibt. Diese wurde vom Bundeskabinett beschlossen. «Die Fußball-Europameisterschaft ist ein sportliches Großereignis, auf das die ganze Welt schaut und für dessen Gelingen Deutschland seinen Teil leisten wird», hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) gesagt.
CSU-Chef Markus Söder, der federführend Grünes Licht für die Ausrichtung der Münchner Spiele vor rund 14.000 Fans gegeben hat, sprach am Montagabend von einem «ganz wichtigen Signal», das von der EM ausgehen könne. Es werde im Stadion der bayerischen Landeshauptstadt, wo die DFB-Auswahl gegen Weltmeister Frankreich (15. Juni), Europameister Portugal (19. Juni) sowie Ungarn (23. Juni) spielt, strenge Corona-Auflagen geben, «dass man mit gutem Gewissen ins Stadion gehen kann», sagte der Ministerpräsident bei RTL.
Fans-Zulassung als wichtiges Zeichen
Die Wiederzulassung der Fans wird laut Söder zwei Dinge «auslösen». Zum einen könne der Rückhalt der deutschen Mannschaft helfen, «umgekehrt gibt es ein neues Lebensgefühl, eine neue Lebensfreude.» Der Weg zum Sommermärchen in München scheint aber noch weit, große Fanfeste wird es nicht geben. Immerhin die Biergärten haben dank gesunkener Inzidenzzahlen wieder geöffnet. «14.000 Fans, das ist schon mal was», sagte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge.
Andere Städte sind weiter, oder denken, es zu sein. Der Münchner Partnergastgeber Budapest will vor vollem Haus und über 60 000 Zuschauern spielen lassen. Beispielsweise auch Baku und St. Petersburg wollen mindestens 30.000 Fans in die Arenen lassen.
Von den noch im vergangenen Jahr geplanten zwölf Ausrichtern musste Dublin wegen der unsicheren Corona-Lage gestrichen werden, Sevilla ersetzt Bilbao. Die UEFA hofft darauf, dass die strengen Hygienekonzepte dafür sorgen, dass alle Partien wie vorgesehen gespielt werden können. Notfallpläne erlauben den Anpfiff, wenn wenigstens 13 Spieler inklusive Torwart zur Verfügung stehen. Am Sonntag teilten die Spanier mit, dass ein Corona-Test bei Kapitän Sergio Busquets positiv ausgefallen ist.
Corona-Risiko spielt mit
Das macht die Einordnung von Favoriten und Außenseitern nicht einfacher. Corona-Infektionen und prominente Ausfälle drohen jedem Team, trotz der Konzepte, die auch der Deutsche Fußball-Bund im abgeschirmten Teamquartier in Herzogenaurach konsequent befolgen will. Der Kontakt zu den Fans ist praktisch ausgeschlossen. Online-Pressekonferenzen und ausgiebige Social-Media-Aktivitäten sind seit über einem Jahr die neue Realität.
Löw, der sein letztes großes Turnier erlebt und nach der EM von Hansi Flick abgelöst wird, hielt sich mit konkreten Zielvorgaben immer wieder zurück. Das Finale am 11. Juli in London ist aber Sehnsuchtsziel aller Beteiligten. «Wir wissen aber, dass wir die Fähigkeiten und die Waffen haben, jedes Spiel bei diesem Turnier gewinnen zu können. Das ist unser Ziel», sagte Mats Hummels, den Löw wie Thomas Müller in die Nationalmannschaft zurückgeholt hatte, zuletzt dem «Kicker».
Im letzten Test gelang der DFB-Auswahl beim 7:1 gegen das allerdings wehrlose Lettland vieles schon recht gut. Der Weltmeister in der kommenden Woche wird ein deutlich härterer Gegner werden. Die Franzosen um Weltstar Kylian Mbappé gelten als der große Titelfavorit, auch Portugal mit dem fünfmaligen Weltfußballer Cristiano Ronaldo ist nicht zu unterschätzen. Wenn die Gruppenphase überstanden ist, sei «für unsere Mannschaft alles möglich», hatte Löw vor dem Start in die EM-Vorbereitung gesagt. Auch der Weg nach Wembley.