Nach seinem erstmaligen Einzug ins Halbfinale der French Open hätte Alexander Zverev am Mittwoch eigentlich ein bisschen faulenzen können.
Schließlich steht sein Halbfinale gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas erst am Freitag auf dem Programm. «Ich habe Novak damals immer geraten, in so einer Situation nicht auf den Tennisplatz zu gehen, um einfach auch mal den Kopf frei zu bekommen», sagte Tennis-Legende Boris Becker bei Eurosport zu seiner Zeit als Trainer des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic.
«Tank ist ja noch nicht so leer»
Doch Zverev, erster deutscher Paris-Halbfinalist seit Michael Stich vor 25 Jahren, tickt anders. Statt Seele und Füße ein wenig baumeln zu lassen, stand für Deutschlands besten Tennisspieler am Mittwoch eine längere Trainingseinheit an. «Mein Tank ist ja noch nicht so leer», sagte Zverev nach seinem am Ende ungefährdeten Dreisatz-Sieg im Viertelfinale gegen den Spanier Alejandro Davidovich Fokina.
Weshalb er bereits unmittelbar nach der Begegnung noch einmal auf den Trainingsplatz gegangen war, um ein bisschen an seinem Aufschlag zu feilen, der gegen Davidovich Fokina nicht ganz so verlässlich kam wie in den Runden zuvor.
Es sind diese Kleinigkeiten, die belegen, wie sehr sich Zverev in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. Inzwischen ist er genauso professionell wie die Topstars Rafael Nadal oder Novak Djokovic. Was auch die inzwischen ritualisierten Besuche in der Eiskammer zur besseren Regeneration und die intensive Vor- und Nachbereitung mit seinem langjährigen Physio Hugo Gravil belegen.
Zverev total fokussiert
Was ebenfalls auffällt: Zverev wirkt total fokussiert, ohne sich aber zu sehr unter Druck zu setzen. Das war früher noch anders. «Ich war nicht so geduldig mit mir», sagte der 24-Jährige Hamburger. «Bevor Tsitsipas und Medwedew kamen, wurde ich als der gesehen, der auf einmal die Tennis-Welt übernehmen sollte.» Bei normalen Turnieren und Masters-1000-Events trumpfte Zverev auch in der Tat immer mal wieder groß auf, gewann 2018 sogar die ATP Finals in London. Nur auf der großen Bühne wollte es lange Zeit nicht wirklich klappen.
«Die Grand Slams sind ein ganz anderes Kaliber. Man muss sich an sie gewöhnen. Für junge Leute ist es eine Lernkurve», sagte Zverev, der erst bei den Australian Open im vergangenen Jahr erstmals bei einem der vier großen Events das Halbfinale erreichte. «Hoffentlich kann ich sagen, dass ich es langsam begriffen habe», sagte Zverev nun in Paris.
So wie Zverev derzeit in Paris auftritt, besteht daran kein Zweifel. Auch gegen den in diesem Jahr auf Sand so starken Tsitsipas, der den russischen Weltranglisten-Zweiten Daniil Medwedew ausschaltete, ist ihm ein Sieg und damit die zweite Grand-Slam-Final-Teilnahme nach der bitteren Endspiel-Niederlage bei den US Open im vergangenen Jahr zuzutrauen. «Dafür werde ich aber mein Level weiter anheben müssen», sagte Zverev selbstkritisch. Zufrieden mit dem Erreichten ist er noch nicht. «Ich bin hier, um um den Turniersieg mitzuspielen.»