ZDF-Reporterin Neumann: «Es geht nicht um meine Gefühle»

Hass, Häme, Hetze: All diesen unschönen Seiten des Fußballs ist Kommentatorin Claudia Neumann seit Jahren ausgesetzt.

Vor allem im Internet und in den sozialen Medien wird die Journalistin immer wieder angefeindet. Neumann selbst liest das alles nicht und legt Wert auf eine andere Art von Feedback. Am Donnerstag (18.00 Uhr/ZDF und Magenta TV) wird sie mal wieder besonders im Fokus stehen, denn sie kommentiert bei Dänemark gegen Belgien das erste  Spiel der Dänen nach dem Kollaps von Christian Eriksen.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt Neumann, wie sie sich auf den besonderen Fußball-Tag vorbereitet, wie sie die schockierenden Bilder aus Kopenhagen am vergangenen Samstag aufgenommen hat und warum sie mit Kritikern auch gerne in den offenen Austausch tritt.

Frage: Frau Neumann, Fußballer sprechen gerne vom «größten Spiel ihres Lebens». Sie kommentieren am Donnerstag die EM-Partie Dänemark gegen Belgien – unter ganz besonderen Vorzeichen. Ist es für Sie das bisher größte und speziellste Spiel Ihrer Laufbahn?

Claudia Neumann: Es ist definitiv ein sehr besonderes Spiel, auf jeden Fall. Es wird eine spezielle Herausforderung auf uns warten, ein Spiel der Gesten und Symbole, da kann auch ein bisschen Gänsehaut bis auf die Reportertribüne rüberwachsen. Zumal ich sehr empfänglich für solche emotionalen Dinge bin.

Frage: Sie haben direkt nach dem Vorfall am Samstag das Folgespiel Belgien gegen Russland kommentiert. Wie haben Sie die dramatischen Szenen um Dänemarks Christian Eriksen mitbekommen?

Wir haben auf den Reporterplätzen oben die UEFA-Monitore, auf denen wir alle Spiele verfolgen können, die Eriksen-Szene hat uns natürlich restlos schockiert. Es war klar, dass das auch unser Spiel betreffen wird. Wir haben zunächst alle Kollegen und Kolleginnen in Mainz in Ruhe gelassen, wohlwissend, dass man jetzt erstmal alles rational sortieren muss. Die Idee, dass wir später erst im Infokanal beginnen, bevor wir nach Beendigung des Dänemark-Spiels im Hauptprogramm auf Sendung gehen, war aus meiner Sicht die richtige Entscheidung. Die Prozesse verliefen so zügig nacheinander, dass ich mir erst während des Kommentierens Gedanken gemacht habe, was ich eigentlich später wiederholen müsste, wenn wir den Kanal wechseln.

«Das fand ich großartig»

Frage: Hatten Sie die Gelegenheit, trotz der Vorbereitung auf das Abendspiel, den Kommentar ihres Kollegen Béla Réthy live oder später in einer Aufzeichnung zu hören?

Nur zum Teil, wir hatten aber mitbekommen, wie schnell er die Situation erfasst hat. Auch seine Entscheidung, wortlos die Bilder wirken zu lassen. Das fand ich großartig. Im Nachgang habe ich auch die Moderation von Jochen Breyer als sehr angemessen empfunden. Die Diskussionen anschließend habe ich verfolgt. Meinem Eindruck nach hat das ZDF das insgesamt sehr gut gehandhabt.

Frage: Béla Réthy hat den Samstag als «emotional bisher härteste Übertragung» seiner Karriere bezeichnet. Wie kann man sich auf derartige Momente überhaupt vorbereiten? Und was hilft einer Kommentatorin in solchen Extremsituationen?

Wahrscheinlich helfen ein gutes Gespür und die Erfahrung. Béla hat ja einige Erfahrung mit unvorhergesehenen Störfaktoren. Ich dagegen hatte nur einmal eine komische Situation als ein Spiel wegen zu starken Regens nicht angepfiffen werden konnte. Damals sind wir komplett auf Sendung geblieben. Es ist ja nichts Tragisches passiert, nicht vergleichbar mit dem Dänemark-Vorfall nun. Wir haben damals skurrile Szenen kommentiert. Das ist eher belustigend. Béla ist der Erfahrenste von uns allen, also wenn er sowas sagt, dann heißt es auch etwas. Ich glaube nicht, dass man sich auf sowas vorbereiten kann.

Frage: Nun erwartet Sie am Donnerstag der knifflige Spagat zwischen Menschlichkeit und Fußball-Business. Haben Sie Angst?

Nein. Angst ist das falsche Wort, aber Respekt. Ich habe gestern ein bisschen reingeschaut, was die Kollegen der ARD im Nachgang gemacht haben, dabei Almuth Schult gehört, die erzählt hat, dass sie sich mehrere Male beim Weinen erwischt hat. Ariane Hingst, meine Co-Kommentatorin, hat am Samstag gleich gesagt: Die können nicht weiterspielen. Der Kopf von Profisportlern stehe in solchen Situationen kurz vor der Explosion. Das seien so extrem anspruchsvolle psychologische Faktoren. Aspekte, die wir Journalisten so genau kaum nachempfinden können. Aber es fühlte sich für mich schlüssig an in dem Moment. Ich werde am Donnerstag aufpassen müssen, mich selbst nicht zu sehr der emotionalen Schiene hinzugeben. Es geht schließlich nicht um meine Gefühle, sondern um die der Beteiligten.

«Vernünftige Mischung finden»

Frage: Was ist für eine TV-Kommentatorin die große Herausforderung bei diesem Spiel?

Eine vernünftige Mischung zu finden. Man muss das Spiel auch seriös rüberbringen, wenn der Ball rollt. Man darf nicht alles unterdrücken. Glücklicherweise geht es Christian Eriksen offenbar ganz gut, angesichts der ernsthaften Situation. Man muss die Balance finden. Wenn die Symbolik kommt, nicht zu sehr die eigenen Gefühle zu ergießen, sondern auch mal Bilder stehen zu lassen und für sich sprechen zu lassen.

Frage: Wie können Sie sich auf diesen ungewöhnlichen Einsatz vorbereiten? Steht während der 90 Minuten der Fußball im Vordergrund oder kann man die Geschehnisse nur mit der Vorgeschichte vom Samstag richtig einordnen?

Wir werden uns überraschen lassen müssen, was genau passiert. Es ist ja auch möglich, dass der eine oder andere eine oder mehrere UEFA-Regeln bricht. Bei den Hymnen wird es sicher sehr emotional. Aber wir machen Fernsehen und keinen Hörfunk, das ist in diesem Fall sicher angenehmer, weil jeder Betrachter die Bilder selbst einordnen darf.

Frage: Halten Sie es für richtig, dass am Samstag – nach eineinhalb Stunden Pause – einfach weitergespielt wurde?

Ich glaube, wir wissen heute, dass die Dänen das inzwischen auch kritisch sehen. Das ist ganz schwierig. Die optimale Lösung hat es nicht gegeben. Man muss Respekt haben, wie die Dänen es gemacht haben. Mittlerweile haben wir uns den zweiten Teil des Spiels auch angeguckt, die Dänen haben insgesamt ein gutes Spiel gemacht, es hat nur an ein paar Kleinigkeiten gefehlt. Wenn sie schlussendlich gewonnen hätten, wäre vielleicht nicht so viel darüber diskutiert worden.

Frage: Sie standen bei der WM 2018 extrem im Fokus, wurden harsch und unsachlich kritisiert, teilweise beleidigt. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Nichts besonderes, wenn ich ehrlich bin. Ich habe das eingeordnet im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Viele Leute sagen: Natürlich macht das was mit einem, aber ich könnte es nicht konkret benennen. Für mich ist es eine Geschichte von gestern. Ich lasse das nicht an mich heran, jedenfalls nicht persönlich.

«Lese nach wie vor nichts»

Frage: Gab es in den vergangenen Jahren weitere Angriffe?

Ich lese nach wie vor nichts, nur wenn mich jemand darauf anspricht, bekomme ich Kenntnis. Der Reflex, nach Spielen ins Netz zu schauen, ist mir wirklich fremd. War er immer schon, heute sogar in 100-prozentiger Konsequenz.

Frage: Lesen Sie überhaupt noch in sozialen Netzwerken?

Soziale Netzwerke interessieren mich dann, wenn ich irgendwo etwas recherchiere. Aber nicht in dem Sinne, dass ich mir von einem kleinen Teil erzählen lasse, wie ich mich zu verhalten habe.

Frage: Welche Form von Kritik oder Feedback ist für Sie hilfreich?

Jede, die konstruktiv ist. Das kann von Fachleuten kommen, von TV-Kennern oder Fußball-Experten, aber auch von ganz normalen Zuschauern. Ich bekomme auch gelegentlich eine E-Mail mit positiven aber auch mit kritischen Anmerkungen. Wenn die vernünftig formuliert sind, sind die Leute in der Regel überrascht, dass ich tatsächlich zurückschreibe. Da entwickelt sich dann auch mal eine längere Diskussion. Wenn sie es angemessen höflich formulieren, bin ich für alles offen.

Frage: Wie hat sich das Feedback über die Jahre verändert?

Es ist deutlich mehr geworden. Man muss immer unterscheiden, aus welcher Richtung etwas kommt. Unsere E-Mail-Adressen sind ja nicht irgendwelche geheimen Akten, die können Interessierte schnell recherchieren, wenn sie das möchten. Da gibt es insgesamt viele positive Geschichten.

ZUR PERSON: CLAUDIA NEUMANN (57) ist Journalistin für das ZDF und kommentiert Fußballspiele. 2016 war sie die erste Live-Kommentatorin bei einem großen Männer-Turnier. Neumann berichtete von diversen Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften und ist auch Teil der neuen Gruppe «Fußball kann mehr», die mehr Einfluss und Zugang für Frauen im Profifußball fordert.

Interview: Patrick Reichardt, dpa