Zum ersten Mal seit drei Tagen trat Kasper Hjulmand wieder mit einem Lächeln vor die Öffentlichkeit.
«Die Sonne scheint heute wieder», sagte Dänemarks Nationaltrainer bei einer seiner vielen Pressekonferenzen in diesen Tagen. Da hatte auch er gerade gelesen, dass sein Starspieler Christian Eriksen zum ersten Mal mit erhobenem Daumen und der Instagram-Botschaft «Ich fühle mich okay» etwas aus dem Krankenhaus in die Welt gesendet hat.
Seit Samstagabend hat Hjulmand den wohl schwierigsten Job dieser Europameisterschaft. Der frühere Bundesliga-Coach von Mainz 05 ist für eine Mannschaft verantwortlich, die beim EM-Spiel gegen Finnland (0:1) direkt daneben stand, als ihr bester Spieler zusammenbrach und wiederbelebt werden musste. Seine Spieler müssen nun gleichzeitig diese dramatischen Bilder verarbeiten und sich irgendwie auf die nächste Partie am Donnerstag gegen Belgien (18.00 Uhr/ZDF und Magenta TV) vorbereiten, nach der dieses erste große Fußball-Turnier auf dänischem Boden rein sportlich gesehen schon wieder vorbei sein könnte. Es ist eine gigantische psychologische Herausforderung. Oder wie Hjulmand es am Dienstag nannte: «Ein emotionaler Kampf.»
Hjulmand gewinnt an Ansehen
Der 49-Jährige gewinnt in diesen Tagen nicht nur in Dänemark sehr stark an Ansehen. Denn Hjulmand hat in dieser Ausnahmesituation die Fähigkeit entwickelt, im richtigen Moment das scheinbar Richtige zu sagen. Er gibt seinen Spielern eine Richtung vor, ohne ihnen den Raum für ihre Emotionen zu nehmen. So sagte er: «Die letzten 24 Stunden waren gut für die Gruppe. Wir wissen, dass es Christian gut geht. Und wir sind zurück auf dem Trainingsplatz. Das ist ein großer Schritt, um uns immer mehr auf den Fußball zu konzentrieren.»
Gleichzeitig stellte der Trainer aber auch klar: Wer am Donnerstag nicht spielen will oder kann, der muss das auch nicht tun. «Es ist in Ordnung, wenn es einige Spieler gibt, die emotional nicht bereit sind, gegen Belgien zu spielen», sagte er.
Bei seiner Auseinandersetzung mit der UEFA verhielt er sich ganz ähnlich. Hjulmand wusste genau, dass der Abend des Eriksen-Dramas nicht der richtige Zeitpunkt war, um ihn auch noch mit der Kritik an der Fortsetzung des Finnland-Spiels aufzuladen. An den ein bis drei Tagen danach bezog er dann aber umso deutlicher Stellung. «Ich glaube nicht, dass es die richtige Entscheidung war. Es war auch nicht die richtige Art, zu führen», sagte Hjulmand an die Adresse des europäischen Verbands. «Ich hatte das Gefühl, dass wir und die Spieler unter Druck gesetzt wurden.» Hjulmand sprach damit als erster Offizieller aus, was in Dänemark so gut wie alle denken.
2014 Trainer in Mainz
Als er zur EM fuhr, dachte er eigentlich, große Herausforderungen zu kennen. 2014 verpflichtete ihn der FSV Mainz 05 als Nachfolger von Thomas Tuchel, der schon damals einen langen Schatten warf. Doch während Tuchel danach den DFB-Pokal mit Borussia Dortmund, die französische Meisterschaft mit Paris Saint-Germain und die Champions League mit dem FC Chelsea gewann, wurde Hjulmand in Mainz nach nur acht Monaten beurlaubt. Es war ein einziges großes Missverständnis.
Denn Mainz 05 ist durch Jürgen Klopps Power-Fußball geprägt, während Hjulmand vor allem den Ball laufen lassen will. Allerdings verhalf ihm genau das, was ihm in der Bundesliga zum Verhängnis wurde, in Dänemark zum Job des Nationaltrainers. Der Europameister von 1992 wollte einen Mann mit klarer Spielidee, er opferte dafür 2020 sogar den Norweger Age Hareide, der die Mannschaft erfolgreich durch die EM-Qualifikation geführt hatte und der im skandinavischen Fußball so etwas wie eine Institution ist: dänischer Meister mit Bröndby, schwedischer Meister mit Malmö, norwegischer Meister mit Rosenborg.
Mit Hjulmand und nicht mit Hareide in das Turnier zu gehen, war ein großer Vertrauensvorschuss für den Ex-Mainzer. Und er hat ihn in den ersten Tagen der EM schon ganz unabhängig von sportlichen Ergebnissen erfüllt. «Wir können gegen Belgien wieder zeigen, wer wir sind», sagte Hjulmand. «Das wollen wir auf dem Platz zeigen. Und das haben wir in den letzten Tagen auch außerhalb des Platzes getan.»