«Blamage»: Türkei erlebt bei Fußball-EM ein Debakel

Den türkischen Fußballern und insbesondere Nationaltrainer Senol Günes stehen nach dem EM-Debakel stürmische Tage bevor. Wenige Stunden nach dem Vorrunden-Aus bei der Europameisterschaft brach sogleich die mediale Entrüstung über das Nationalteam herein.

«THE END», «Klatsche» und «Blamage» titelten die Zeitungen in der Heimat nach dem 1:3 am Sonntag zum Vorrunden-Abschluss gegen die Schweiz in Baku.

«Es kann sein, dass du nicht über die Gruppenspiele hinauskommst. Aber du hast kein Recht, so schlechten Fußball zu spielen», ätzte die Tageszeitung «Aksam» am Montag. Die dritte Niederlage im dritten EM-Spiel zum Abschluss gegen die Schweiz war der bittere Schlusspunkt einer völlig verkorksten EM für die stolze Fußball-Nation. «Wir sind nicht traurig, wir schämen uns», schrieb die Tageszeitung «Milliyet».

Trainer in der Kritik

Besonders heftig fiel die Kritik an Trainer Günes aus. «Senol Günes ist mit einer falschen Kaderauswahl, schlechten Fußball, den er hat spielen lassen und seiner Unfähigkeit, den Gegner zu entziffern, sitzen geblieben», schrieb unter anderem die Sportzeitung «Fotomac».

Freiwillig will der 69 Jahre alte Günes seine Arbeit aber wohl nicht beenden. «Ich denke im Moment nicht an Rücktritt», sagte der frühere Torwart nach dem endgültigen Turnier-K.o. am Sonntagabend. Ob der erfahrende Trainer, der die Ay-Yıldızlılar schon zwischen 2000 und 2004 betreute und 2002 WM-Dritter wurde, weitermachen darf, liegt aber natürlich nicht nur in seiner Hand.

Vollkommen unerklärlich bleibt, warum die hoch gehandelten Türken ihr Potenzial nicht abrufen konnten. Die von einigen Experten als mögliche positive EM-Überraschung angepriesene Mannschaft um Mittelfeld-Ass Hakan Calhanoglu und Kapitän Burak Yilmaz reist mit null Punkten und nur einem Tor nach drei Spielen wieder heim. «Ich wollte, dass meine Spieler sich zeigen», sagte Günes. «Sie konnten sich hier nicht präsentieren und sind sehr traurig deswegen.»

«Ich entschuldige mich bei allen»

Verteidiger Merih Demiral etwa versuchte gar nicht erst, das peinliche EM-Aus schönzureden. «Ich entschuldige mich bei allen», sagte der 23-Jährige von Juventus Turin. «Wenn die Erwartungen hoch sind, ist auch das Bedauern hoch.»

Warum Top-Star Calhanoglu, der beim italienischen Vizemeister AC Mailand eine starke Saison gespielt hat, kaum Akzente setzen konnte, ist nur eines von vielen Rätseln. Auch der französische Meister Yilmaz stellte seine Torgefahr nicht unter Beweis. Für den OSC Lille hatte er in der vergangenen Spielzeit immerhin 16 Treffer in der Ligue 1 erzielt. Bei der EM war er völlig harmlos.

Acht Gegentore

Mit starken Leistungen in der Qualifikation hatte die Türkei die Hoffnungen ihrer Fans auf ein großes Turnier genährt. Das Günes-Team holte 23 Punkte aus zehn Spielen und besiegte Weltmeister Frankreich zu Hause mit 2:0. Defensiv waren die Türken extrem stabil, kassierten nur drei Gegentore und halten damit gemeinsam mit Belgien den Spitzenwert. Allein in den drei Gruppenspielen gegen Italien, Wales und die Schweiz landete der Ball nun achtmal im türkischen Netz.

«Wir haben nicht den Charakter gezeigt, den wir zeigen wollten», stellte Günes fest. Auch die lautstarke Zuschauer-Unterstützung und Heimspiel-Atmosphäre in zwei Spielen im Olympiastadion in Baku halfen den Türken nicht. Trotz der EM zum Vergessen glaubt er indes an eine gute Zukunft seines Teams. «Ich glaube daran, dass sie ihre Fehler verbessern und in Zukunft besseren Fußball spielen werden. Ich glaube, dass die Zukunft der Jungs strahlend sein wird, aber dieses Turnier ist für uns nicht gut gelaufen.» Da hat er recht.

Von Thomas Eßer und Mirjam Schmitt, dpa