Am Tag nach dem großen dänischen Triumph blickte Kasper Hjulmand schon wieder völlig entspannt und ohne erkennbare Zeichen der Müdigkeit in die Kameras.
Ganz so, als habe es diese lange «magische Nacht», den ganzen Jubel und die Ekstase über Dänemarks Weiterkommen bei der Fußball-EM gar nicht gegeben.
Dabei wurde direkt nach dem 4:1 (1:0)-Sieg gegen Russland niemandem mehr gehuldigt als dem dänischen Trainer. Irgendwann riefen die besonders lautstarken Anhänger auf der Südtribüne am Montagabend nur noch seinen Namen – und Hjulmand stand im völlig überschäumenden Parken Stadion von Kopenhagen auf einmal ganz allein vor tausenden Fans. Tief bewegt bedankte er sich zunächst direkt beim Publikum, dann in der Kabine bei seiner Mannschaft – und am Tag danach sogar noch ein weiteres Mal beim ganzen Land.
«Die Unterstützung und die Liebe, die wir von der gesamten Bevölkerung erfahren haben, ist großartig», sagte der Trainer. «Die Dänen haben uns Flügel verliehen. Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen. Ich hatte wirklich gehofft, dass wir eine magische Nacht erleben.» Und die bekam er dann auch.
«Volksfest im Parken»
Wenn das Parken Stadion so etwas wie der Ort dieser EM ist, dann ist Kasper Hjulmand bislang der bemerkenswerteste Trainer dieses Turnier. Denn in nur zehn Tagen haben er, seine Spieler und die Zuschauer in Kopenhagen nacheinander erlebt: Den Zusammenbruch von Christian Eriksen beim 0:1 gegen Finnland. Die emotionale Rückkehr beim 1:2 gegen Belgien, als längst feststand, dass es dem 29-jährigen Spielmacher wieder besser geht. Und jetzt dieses «Volksfest im Parken» (dänisches TV), das den Dänen ein Achtelfinal-Match am nächsten Samstag in Amsterdam gegen Wales bescherte. «Alle Emotionen des Lebens wurden in zehn Tagen komprimiert», sagte Hjulmand.
Der 49-Jährige scheiterte noch 2015 in der Bundesliga daran, dass er seinen Stil nicht den Vorstellungen seines Clubs Mainz 05 anpassen wollte. Doch bei dieser EM nimmt er jeden mit. Hjulmand hat seine Spieler durch die hochsensible Zeit nach dem Eriksen-Drama geführt. Er hat seine Mannschaft auch taktisch so umgestellt, dass sie den Verlust ihres besten Spielers rein sportlich kompensierte. «Kasper ist außergewöhnlich», sagte Kapitän Simon Kjaer. «Er ist schon als Trainer großartig, weil er an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden an Fußball denkt. Aber als Mensch ist er noch viel mehr als das.»
Den Zusammenhalt mit den Fans hat Hjulmand immer hervorgehoben. Es hatte schon gegen Belgien und jetzt erst recht gegen Russland den Eindruck, als feuerten im Stadion nicht bloß 25 000 Zuschauer elf Fußballer auf dem Rasen an. Sondern als stünde in diesen Tagen ein ganzes Land zusammen. Noch Stunden nach dem Spiel feierten Tausende in Kopenhagen den Erfolg mit Autokorsos und mehreren Freiluft-Partys auf zentralen Plätzen der Stadt. Als die Mannschaft mitten in der Nacht in ihrem EM-Quartier in Helsingör ankam, warteten auch dort noch zahlreiche Fans vor dem Mannschaftshotel.
«In die Herzen der Dänen gespielt»
«Diese Fußballer haben sich in die Herzen der Dänen gespielt. Sie haben den Mädchen und Jungen zu Hause einige Idole gegeben», sagte Hjulmand. Die Popularität der aktuellen dänischen Mannschaft erinnert bereits an die Sensations-Europameister von 1992. Nur dass es in jenem Sommer keine Pandemie gab, die Kneipen und Bars auch in Kopenhagen frühere Schließzeiten aufzwingt und die noch viel größere Fanfeste in den dänischen Städten in diesem Jahr verhindert.
Trotzdem: Die Geschichte dieser dänischen Mannschaft hätte sich kein Drehbuchautor je ausdenken können. Denn sie wird immer noch größer und größer. Der 20 Jahre alte Mikkel Damsgaard zum Beispiel ist als Flügelstürmer zwar kein positionsgetreuer Eriksen-Ersatz, aber er steht in der Startelf, seit der große Star nicht mehr spielen kann. Und er war gegen Russland der erste und wichtigste Torschütze (38. Minute), bevor auch Yussuf Poulsen (59.), Andreas Christensen (80.) und Joakim Maehle (82.) noch trafen. «Ich hätte mir nie erträumen können, ein Teil von etwas so Großem zu sein», sagte Damsgaard.
Das Achtelfinale gegen Wales findet auch nicht in Bukarest oder Glasgow statt, sondern in Amsterdam, wo Eriksen einst drei Jahre für Ajax spielte und viele Fans hat. Hjulmand erwartet dort einen «harten Gegner». Aber die vergangenen Tage haben bei den Dänen so viel Energie freigesetzt, dass sie nun auf einmal als Favorit in eine Partie dieser EM gehen. Auch Eriksen gibt ihnen Kraft. «Christian schrieb uns sofort nach dem Spiel in unsere WhatsApp-Gruppe», verriet der Verteidiger Jens Stryger Larsen. «Es war toll, von ihm zu hören.»