Am Genfer See scheint die Welt noch in Ordnung. Der moderne Hauptsitz der UEFA steht unmittelbar am Ufer, an Sommertagen glitzern die großen Glasfronten in der Sonne. Die Straße am See ist nicht übermäßig befahren.
Hier, im beschaulichen Teil der kleinen Schweiz, wird die große europäische Fußballpolitik betrieben. Strikt unpolitisch, wie die UEFA in ihren Statuten vorschreibt und sich damit selbst in das Dilemma aller großen Verbände zwingt. Nur um Fußball geht es längst nicht mehr, auch nicht in Nyon. Der Proteststurm wegen des Regenbogenverbots in München ist nur eines von vielen Beispielen.
Ceferin zwischen Politikern
Während der EM, beim Gruppenspiel der Türkei gegen Wales in Baku, saß UEFA-Präsident Aleksander Ceferin auf der Ehrentribüne zwischen Aserbaidschans Machthaber Ilham Aliyev und Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Staatspräsident hatte am Vortag die Stadt Schuscha besucht, die im Krieg um Berg-Karabach von Aserbaidschan zurückerobert worden war. Wie kann der Stadionbesuch am folgenden Abend nicht politisch sein?
In München, beim ersten deutschen EM-Spiel gegen Frankreich, machte ein Fotograf ein Bild des Slowenen neben Innenminister Horst Seehofer. Die Gesprächsthemen dürften andere gewesen sein als in Baku. Gianni Infantino, der den Weltverband FIFA führt, ließ am Montag eine Pressemitteilung von einer Konferenz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verschicken. Kurz vor der EM war kurzzeitig der Ukraine-Konflikt wieder in den Fokus geraten, weil das Trikot der Ukrainer auch die von Russland einverleibte ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim abbildet. Nicht politisch?
Statt zum dritten Spiel am Mittwochabend wieder in München gegen Ungarn sollte Ceferin nach Budapest reisen. Frankreich gegen Portugal im vollen Stadion. Ungarn hat sich in den vergangenen Wochen als Ausrichter zahlreicher Europapokalspiele der Corona-Pandemie zum Trotz zum verlässlichsten UEFA-Partner aufgebaut – mit entsprechendem Einfluss. Ministerpräsident Viktor Orban nutzt die schönen Bilder, und sie nutzen ihm.
Entscheidung gegen die Regenbogenbeleuchtung
Die Entscheidung gegen die Regenbogenbeleuchtung an der Münchner Arena, die in Deutschland Tausende Fans und etliche Politiker erzürnte, war deshalb nicht überraschend. Bei aller nach außen getragenen Neutralität wirken immer und überall Zwänge auf die Verbände, die dem Fußball schaden. Und den Botschaften, die in jeden Wettbewerb getragen werden. «Rassismus, Homophobie, Sexismus und alle Formen von Diskriminierung sind ein Schandfleck für unsere Gesellschaft», schrieb die UEFA erst kurz vor dem Turnierbeginn. Es könnte so einfach sein, wenn sich alle daran halten.
Die wichtigen, oft brisanten Entscheidungen werden in der UEFA vom Exekutivkomitee getroffen. In diesem sitzen 19 überwiegend ältere Männer aus 18 Nationen und eine Frau. Die Wertvorstellungen sind höchst verschieden, in gewisser Weise sind die Exko-Sitzungen in dieser Hinsicht vergleichbar mit denen am Verhandlungstisch der Europäische Union. Auch Ungarn ist vertreten, Sándor Csányi ist seit 2018 FIFA- und seit 2019 UEFA-Vizepräsident.
Das in der vergangenen Woche in Budapest gebilligte Gesetz zur Einschränkung der Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität ist Auslöser der Debatte um München. Die EU-Kommission hätte die Regenbogenfarben auf der Allianz Arena, die während der EM wegen der Werbeverträge der UEFA nicht so heißt, als klares Zeichen gegen Diskriminierung begrüßt. «Die UEFA» folgte der Empfehlung nicht.
UEFA-Logo bunt
«Einige» hätten die Entscheidung «als politisch» interpretiert, teilte der Dachverband unter einem bunten UEFA-Logo mit. «Im Gegenteil, die Anfrage selbst war politisch und verbunden mit der Anwesenheit der ungarischen Nationalmannschaft im Stadion für das Spiel am Abend gegen Deutschland.» Der Regenbogen sei für die UEFA «kein politisches Symbol, sondern ein Zeichen unseres Engagements für eine vielfältigere und integrativere Gesellschaft». Wer ist denn jetzt politisch?
Im von der Stadt München gestellten Antrag war tatsächlich kein Geheimnis daraus gemacht worden, dass das ungarische Gesetz Ziel der Aktion sein solle. Eine Steilvorlage für die UEFA, auf politische Hintergedanken zu verweisen. «Die UEFA kann kein Werkzeug für jeden Politiker sein, der uns anruft und sagt: Ihr macht jetzt bitte dies und jenes gegen diesen oder jenen Politiker», sagte Ceferin der «Welt». Das hätte auch die Stadt wissen können, oder sie kalkulierte es geschickt ein in die Wirkung in der Öffentlichkeit. Verloren hat die UEFA.
«Sportverbände befinden sich immer in einem Spannungsfeld der Interessen, aber gerade dann ist es wichtig klare Haltung zu zeigen und zu den Werten zu stehen, für die man sich bisher eingesetzt hat», sagt Norbert Minwegen, Präsident der Deutschen Public Relations Gesellschaft, einer berufsständische Vereinigung für Kommunikationsmanager. «In aktuellen Fall hat die UEFA leider ein Eigentor geschossen und eine Möglichkeit ausgelassen, ein Bekenntnis zur Vielfalt zu setzen.» In München steigt am 2. Juli noch ein Viertelfinale.