Buchmanns will ohne Sturz durchkommen – Pogacar erneut Gelb

Das unaufgeregte Ambiente im Schatten der alten Festung am Hafen von Brest gefiel Emanuel Buchmann genauso gut wie seine freie Rolle fernab von jedem Druck.

Vor dem Start der 108. Tour de France hat Deutschlands bester Rundfahrer nur einen Wunsch. «Ziel ist es, ohne Sturz da durch zu kommen. Das wird nicht so einfach. Gerade die erste Woche wird relativ hektisch», sagte Buchmann der Deutschen Presse-Agentur nach der Teampräsentation. Nach all den geplatzten Träumen mit den Stürzen im Vorfeld der Tour 2020 und beim Giro 2021 nimmt der 28-Jährige die Nebenrolle gerne in Kauf, die große Bühne gehört vor der 3414,4 Kilometer langen Reise nach Paris erst einmal den slowenischen Rad-Stars.

Pogacar mit «Lust auf mehr»

«Lust auf mehr», hat Tadej Pogacar, der sich im vergangenen Jahr nach einem hochdramatischen Duell mit Landsmann Primoz Roglic im Alter von 21 Jahren und 365 Tagen zum jüngsten Sieger seit 1904 gekrönt hatte. «Wir werden sehen, wer der Bessere ist.» Darauf brennt auch Roglic. Mit neuer Frisur und neuer Motivation ist er neun Monate nach den bitteren Momenten zurück. «Ich will mein bestes Gesicht zeigen.» Damit dies funktioniert, hat er an seinem einzigen Makel aus dem Vorjahr gearbeitet und sich speziell auf die Zeitfahren vorbereitet.

Die Bilder der Tour 2020 sind noch in bester Erinnerung, als Roglic in La Planche des Belles Filles enttäuscht und mit leerem Blick auf dem Asphalt saß. In einem denkwürdigen Bergzeitfahren hatte Pogacar seinem Landsmann am vorletzten Tag das Gelbe Trikot entrissen.

Auf andere Bilder hofft auch die Tour-Organisation entlang der Strecke. Ein bisschen mehr Normalität soll es sein, auch wenn das bewährte und strenge Corona-Protokoll in diesem Jahr wieder angewendet wird. «Es ist eine Genugtuung, die Rückkehr der Zuschauer zu sehen, auch wenn sie im Start- und Zielbereich einen Hygieneausweis benötigen», sagte Tourchef Christian Prudhomme der Sportzeitung «L’Equipe».

Strenge Corona-Regeln

Eine vollständige Impfung oder ein negativer Corona-Test sind Voraussetzung, um den Sieger der Etappen live zu sehen. An der restlichen Strecke ist der Zugang dagegen weitgehend frei. Ob es Beschränkungen an den Bergpässen gibt, hängt von den zuständigen Departements ab. «Es wäre schön zu sehen, dass uns die Menschenmassen wieder hochpeitschen. Das gehört zum Radsport dazu», sagte Altstar André Greipel der dpa: «Alle Leute wollen die Tour haben, wie sie vor Corona war. Die Leute sind hungrig, Dinge zu erleben. Natürlich mit den hygienischen Maßnahmen, die jeder inzwischen kennen müsste.»

Die Radprofis kennen ihre Pflichten genau. Alle Fahrer werden jeweils zweimal vor dem Tour-Start, nach der fünften Etappe sowie am ersten und zweiten Ruhetag getestet. Werden zwei Fahrer eines Teams innerhalb von sieben Tagen positiv getestet, soll der jeweilige Rennstall ausgeschlossen werden. Im vergangenen Jahr wurde dies ähnlich gehandhabt und hatte weitgehend funktioniert. Kein Fahrer wurde positiv getestet.

Oldies Greipel und Froome in einem Team

Greipel («Unverhofft kommt oft») erfuhr erst in der vorigen Woche, dass er bei der Tour dabei ist. Nun fährt er beim Team Israel Start-Up Nation an der Seite des viermaligen Champions Chris Froome. «Da kann auch ich in meinem Alter was von lernen», sagte der 38-Jährige und beschreibt den Briten als «sehr freundlichen, zurückhaltenden Menschen».

Froome selbst sieht sich bei seinem Comeback nach drei Jahren in der Rolle des Wasserträgers: «Ihr könnt definitiv erwarten, dass ihr mich seht, wie ich in den nächsten Wochen einige Flaschen hole.» Seit seinem schlimmen Sturz im Rahmen der Dauphiné-Rundfahrt 2019 ist der 36-Jährige nicht mehr an seine Bestform herangekommen.

Sein altes Ineos-Team will mit Ex-Tour-Champion Geraint Thomas, dem Vorjahresdritten Richie Porte und den beiden Ex-Girosiegern Tao Geoghegan Hart und Richard Carapaz die Vorherrschaft bei der Frankreich-Rundfahrt zurückerobern. Die Franzosen setzen indes auf ihren Weltmeister Julian Alaphilippe.

So dürfte es ein Geschenk für ihren Liebling gewesen sein, dass die Strecke weniger berglastig ist. Der berühmt-berüchtigte Mont Ventoux muss auf der elften Etappe zwar zweimal überquert werden. Das Ziel liegt aber im Tal. Bergankünfte gibt es dieses Mal nur in Tignes, am Col du Portet und in Luz-Ardiden. Dafür wurden zwei flache Zeitfahren und einige Klassiker-Etappen wie an den ersten beiden Tagen ganz nach dem Geschmack von Alaphilippe eingebaut.

Aber auch das wird nach Meinung von Bernard Hinault nicht helfen, die 36 Jahre währende Durststrecke der Franzosen zu beenden. «Von der aktuellen Generation wird kein Franzose die Tour gewinnen. Es mag hart und gemein sein, das zu sagen, aber wir müssen ehrlich sein. Sie sind nicht die Besten in den Bergen, und sie sind nicht die Besten im Zeitfahren», sagte der bislang letzte französische Tour-Champion aus dem Jahr 1985.

Buchmann: «Etappensieg wäre ein Traum»

Letzteres trifft auch auf Buchmann zu. Der Tour-Vierte von 2019 will sich aber «nicht absichtlich abhängen lassen». Als Kapitän der Bora-hansgrohe-Mannschaft geht der Niederländer Wilco Kelderman ins Rennen. Vermissen werden die deutschen Rad-Fans indes Maximilian Schachmann, der sich auf Olympia in Tokio konzentriert, und den letztjährigen Etappengewinner Lennard Kämna, der eine mentale Pause einlegt.

«Ich schaue von Tag zu Tag, und wenn es Möglichkeiten gibt, werde ich sie nutzen. Ein Etappensieg wäre ein Traum. Für die Top fünf oder das Podium muss man drei Wochen jeden Tag arbeiten. Man muss definitiv mehr tun», sagte der Ravensburger Buchmann einen Tag vor dem Tour-Start.

Von Stefan Tabeling und Tom Bachmann, dpa