Auch Bierhoff ein EM-Verlierer – Flick muss schnell liefern

Auch wenn Fußball-Deutschland weiter mehr oder weniger aufgeregt über Fehler und Versäumnisse diskutiert – der Ex ist abgetaucht.

Weitere Vorhaben? Nein. Neuorientierung? Auf Eis gelegt. Analyse des Scheiterns? Hat sich erledigt. Nicht einmal Pläne für «den Urlaub» hat Joachim Löw, noch für «sonst irgendwelche Dinge», teilte der abgetretene Langzeit-Bundestrainer bei seinem letzten DFB-Auftritt mit. Jetzt sind andere am Zug und in der Pflicht – allen voran Löws langjähriger Vertrauter Oliver Bierhoff.

Seit 17 Jahren beim DFB

Seit 17 Jahren verantwortet der ehemalige Stürmer die Belange der deutschen Vorzeigemannschaft. Jürgen Klinsmann hatte 2004 bei seinem unerwarteten Amtsantritt als Bundestrainer beim Verband extra für seinen Europameister-Kollegen von 1996 eine Managerstelle schaffen lassen. Wie Löw darf Bierhoff für sich in Anspruch nehmen, die positive Erneuerung des Nationalteams bis hin zum WM-Titel 2014 entscheidend mitgeprägt zu haben. Aber jetzt ist Bierhoff auch ein Verlierer dieser EM – und der vorangegangenen drei Jahre.

Dass nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland eilig aufgestellte Konzept der Erneuerung weiter mit Löw griff nicht. «Es tut sehr weh», sagt Bierhoff nach dem Achtelfinal-K.o. gegen England. «Wir sind nicht zufrieden. Unser Anspruch ist es, zu den Besten zu gehören.» Das böse Ende hatte auch er nicht erwartet, interne Signale nicht vernommen oder falsch gewertet, obwohl der 53-Jährige seit Beginn der Vorbereitung hautnah am Team war und sowohl im Trainingscamp in Seefeld als auch im «Home Ground» in Herzogenaurach fast jeden Tag zusammen mit den Spielern zum Training radelte.

Ausnahmestellung im DFB

Dass Bierhoff außer bei einigen Fußball-Prominenten wie Lothar Matthäus oder Felix Magath nicht verstärkt in die Kritik gerät, hat auch mit seiner Ausnahmestellung im DFB zu tun. 2007, ein Jahr nach dem Bundestrainer-Start von Löw, rückte Bierhoff schon ins Präsidium des Verbandes. Dort ist er inzwischen eine Konstante, während sich in dieser Zeit gleich vier Präsidenten verabschieden mussten.

Seit 2018 verantwortet Bierhoff als Direktor 15 DFB-Auswahlteams mit 23 Fußball-Lehrerinnen und -Lehrern sowie das mit Abstand wichtigste Zukunftsprojekt, den Aufbau der eigenen, rund 150 Millionen Euro teuren Akademie. Damit hat sich der gebürtige Karlsruher im Führungschaos des Verbandes praktisch unersetzbar gemacht. Und als Löw Anfang März selbst sein vorzeitiges Vertragsende für nach der EM festlegte, spielte ihm die Entwicklung um den zu dieser Zeit noch beim FC Bayern wirkenden guten Bekannten Flick in die Karten.

«Ein bisschen stolz»

«Ein bisschen stolz» sei er darauf, «alles gut und ruhig im Vorfeld gemanagt zu haben», sagte Bierhoff vor dem EM-Start. Dass bei der Abschieds-Pressekonferenz in Herzogenaurach weder Bierhoff über Löw, noch Löw über Bierhoff eine öffentliche Danksagung abgab, lässt zumindest ein paar Fragezeichen zurück.

Nun aber müssen Bierhoffs neue Trümpfe beim Nationalteam schnell stechen, allen voran sein Kreuzbube Flick. «Es ist schon etwas Neues in diesen Tagen zusammengewachsen, die Spieler wollen gemeinsam etwas erreichen», bemerkte der Manager. Schon in der WM-Qualifikation im September wäre ein weiterer Rückschlag verheerend und könnte die Turnierteilnahme im Dezember 2022 in Katar in höchste Gefahr bringen. «Wir müssen einen Mix finden zwischen mittelfristigem Aufbau und dem Erfolg, den du kurzfristiger haben musst», sagte Bierhoff deshalb.

Einfluss auf konkrete Taktik und Personalauswahl habe er bei Löw und werde er auch bei Flick nicht nehmen. «Ich habe es immer so gehalten, mit den Trainern zu diskutieren, aber am Ende obliegt ihnen die Entscheidung», betonte Bierhoff. Für die Zukunft sei mit wichtig: «Wir müssen schauen, was mit der jetzigen U21 passiert. Das sind grundsätzlich Maßnahmen, die nicht von heute auf morgen greifen.» Auch das liegt in Bierhoffs Verantwortungsbereich.

Kimmich dankt Löw

Offenbar hatte in der Nationalmannschafts-Blase, die wegen der Corona-Bedingungen bei dieser EM noch mehr die Einflüsse von außen abschottete als ohnehin schon, niemand daran gezweifelt, dass die Pläne von Bierhoff und Löw aufgehen. «Ich habe zu jeder Zeit 100 Prozent daran geglaubt, dass wir das Turnier gewinnen können», schrieb Bayern-Profi Joshua Kimmich mit etwas Abstand bei Instagram und dankte Löw für eine Ära, die «unvergessen» bleibe.

Einmal während des Turniers, nach dem 0:1-Auftakt gegen Frankreich, hatte sich auch Bierhoff zu seiner Verantwortung für den sportlichen Erfolg geäußert. Dass Löw auch nach dem 0:6-Debakel gegen Spanien im November des Vorjahres weitermachen konnte, habe er «gemeinsam mit anderen Verantwortlichen im DFB aus Überzeugung» entschieden.

«Das sind ja die üblichen Diskussionen», sagte Bierhoff in der «Süddeutschen Zeitung». Er sei aber auch verantwortlich für all unsere Nationalmannschaften. «So sind wir gerade mit der U21 Europameister geworden und haben für die A-Nationalmannschaft den erfolgreichsten Vereinstrainer als Bundestrainer verpflichtet», ergänzte Bierhoff. «Am Ende liegt es am Präsidium zu entscheiden, ob sie mich weiterhin für den Richtigen halten.» Das zerstrittene Präsidium allerdings ist weiter in Auflösung.

Von Jens Mende und Arne Richter, dpa