Der böse Bube ist wieder da – und die Tennis-Fans in Wimbledon lieben ihn. Der Australier Nick Kyrgios ist auch gar nicht mehr so böse. Und er liebt, was er tut, selbst wenn es in seiner Karriere nicht für einen Grand-Slam-Titel reichen sollte.
Nach langer Wettkampfpause ist die Wahrscheinlichkeit dafür in Wimbledon gering – doch immerhin schaffte es Kyrgios in die dritte Runde an diesem Samstag gegen den kanadischen Aufsteiger Felix Auger-Aliassime. Möglich wäre danach ein reizvolles Achtelfinale gegen Alexander Zverev, der aber zunächst den Amerikaner Taylor Fritz besiegen muss.
Rar gemacht während der Pandemie
Kyrgios hatte sich während der Corona-Pandemie rar gemacht und seit März 2020 nicht mehr außerhalb Australiens gespielt. Via Twitter geißelte er gewohnt meinungsstark während der missglückten Adria-Tour im vorigen Sommer Branchen-Primus und Organisator Novak Djokovic sowie die Teilnehmer für ihr Verhalten in der Krise. In diesem Jahr schlug er zuvor nur bei den Australian Open und einem Vorbereitungsturnier in Melbourne auf.
«Es war nicht schwer, runter von der Couch in Canberra zu kommen, denn Wimbledon ist eines meiner Lieblings-Events», sagte der 26-Jährige nach seinem Erstrunden-Sieg mit 9:7 im fünften Satz über Halle-Sieger Ugo Humbert aus Frankreich. Das Match zog sich über zwei Tage, am Donnerstagabend steckte es Kyrgios beim glatten Erfolg über den Italiener Gianluca Mager noch in den Knochen.
Die Zuschauerränge auf dem Platz Nummer drei waren wieder gut gefüllt. Kein Wunder, denn ob schlechtes Benehmen, Rüpeleien oder Lustlosigkeit: Bei Kyrgios war in der Vergangenheit meist etwas los. Das ist es auch diesmal, doch der hoch veranlagte Profi, der sich oft selbst im Weg stand, gibt nun – weiterhin nicht immer stubenrein – den Entertainer. So fragte er einen Zuschauer im Match gegen Mager, wohin er seinen nächsten Aufschlag servieren solle. In die Mitte! Gesagt, getan, Kyrgios ballerte ein Ass durch die Mitte des Platzes. Kurzes Fußball-Schwätzchen über Tottenham Hotspur? Kein Problem.
«Ich weiß, wer ich bin»
Nicht jeder könne ein Federer, Djokovic oder Nadal sein, sagte Kyrgios danach. «Ich bin Nick Kyrgios. Ich weiß, wer ich bin. Ich setze mich nicht mehr so unter Druck. Damit kann ich leben, Ich kann damit leben, keine Grand Slams zu gewinnen.» Es brauche Figuren, mit denen sich die Fans identifizieren könnten. «Ich habe das Gefühl, dass ich einer dieser Menschen bin», erklärte Kyrgios. Dass er angesichts seines Potenzials eigentlich viel erfolgreicher sein müsste, hat der Weltranglisten-60. längst eingeräumt.
Der mit staubtrockenem Aussie-Humor ausgestattete Kyrgios genießt derzeit sein Dasein. «Ich atme die frische Luft. Ich nehme nichts als selbstverständlich hin. Mir geht es einfach gut. Die Leute lieben Wimbledon, ich liebe Wimbledon. Ich liebe es, das Publikum zu sehen.» Und das Publikum liebt es, von Kyrgios gut unterhalten zu werden.
Nicht alle Kontrahenten mögen ihn, doch einige unterstützen seine Art. Zverevs Drittrunden-Gegner Taylor Fritz verwies darauf, dass Drama Fans bringe. «Es gibt einen Grund dafür, dass es bei bestimmten Leuten und Matches immer voll ist. Bei Matches von Nick Kyrgios ist es immer voll», schrieb der Amerikaner bei Twitter. Das war es auch am Freitagabend, als Kyrgios gemeinsam mit der mittlerweile 41 Jahre alten früheren Weltranglisten-Ersten Venus Williams erfolgreich in den Mixed-Wettbewerb startete.