Die vierten und letzten Olympischen Spiele beginnen für Rekordeuropameister Patrick Hausding mit der großen Ehre des Fahnenträgers. 13 Jahre nach seinem ersten Olympia-Auftritt und Silber in Peking ist der Berliner Wasserspringer zum letzten Mal im Zeichen der Ringe am Start.
«Ich hoffe, dass das gepaart mit guter Leistung zu Ende geht und ich mich von meinen letzten Spielen nicht mit einem schlechten Wettkampf verabschiede», sagt Hausding im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Der 32-Jährige, der 2008 und 2016 je eine Olympia-Medaille gewann, springt in Tokio sowohl im Einzel- als auch im Synchron-Wettbewerb vom Drei-Meter-Brett. Und spürt dabei das Kribbeln wie in jüngeren Jahren. «Es geht um Olympia – und dann ist es egal, dass ich schon dreimal dabei war. Aufregung und Leistungsdruck beginnen immer wieder von vorne», sagt Hausding.
Die Olympischen Spiele haben mit der Kür zum Fahnenträger für Sie perfekt begonnen. Wie viel Schwung gibt das für den Olympia-Abschied?
Patrick Hausding: Das ist eine Riesenehre. Ich kann Medaillen gewinnen, so viel ich will, aber Fahnenträger kann man in seinem Leben nur einmal werden. Wenn man sich in die Riege der bisherigen Fahnenträger einreiht, ist man im sportlichen Adel angekommen. Auf die Wettkämpfe hat das natürlich keinen Einfluss, aber man nimmt ein schönes Gefühl mit. Und bis zum ersten Wettkampf fünf Tage nach der Eröffnungsfeier, werde ich von der Rumsteherei auch nichts mehr merken.
Welche Erinnerungen haben Sie eigentlich noch an den 11. August 2008?
Hausding: Das war doch bestimmt die Silbermedaille aus Peking zusammen mit Sascha (Klein). Das war mein Olympia-Einstieg – und das gleich mit einer Medaille. Das war vor allem in dem Alter ein Riesenerfolg. Das hat meinen Weg für die weitere olympische Karriere gut geebnet.
In 13 weiteren Jahren ist viel passiert in der Karriere von Patrick Hausding. Was für positive Erinnerungen bleiben besonders hängen?
Hausding: Das sind viele Dinge. Ich habe viel von der Welt gesehen, sehr viele Erfolge gefeiert, die einen geprägt und weiter motiviert haben. Beginnend in Peking 2008, weiter über Budapest 2010, Barcelona 2013, Rio 2016 oder wieder Budapest in diesem Jahr. Das waren für mich alles Riesendinger. Es war ein Auf und Ab, aber es ist mir oft genug geglückt, dass es sehr viele bleibende Momente gibt.
Und welche Abs sind besonders haften geblieben?
Hausding: Als Sportler hat man genauso viele Misserfolge wie Erfolge. 2009 war für mich ein relativ schlimmes Jahr, weil wir als Olympia-Zweite dachten, dass wir immer bei den Großereignissen oben mitspringen und sind dann medaillenlos von der WM in Rom heimgefahren. Wir haben auch 2012 bei Olympia in London die Medaille verpasst, 2015 und 2019 gab es bei den Weltmeisterschaften keine Medaille. Das ist Jammern auf hohem Niveau, aber man hat die Latte mit dem perfekten Start bei Olympia in Peking selbst hoch gelegt.
Was kann der alte Patrick Hausding besser als der junge?
Hausding: Ich kann Dinge besser relativieren, vor allem was der Sport mir bringt oder gebracht hat. Ich kann realistisch einschätzen, dass das Leben als Leistungssportler auch mal ein Ende hat. An sowas denkt man als 22-Jähriger nicht. Man fühlt sich mit 32 Jahren auch den Teamkollegen gegenüber mitverantwortlich, weil man viel erlebt hat und mit der Erfahrung aushelfen kann. Man wird rationaler und ruhiger.
Und was hätten Sie gerne vom jungen Patrick Hausding?
Hausding (lacht): Die körperliche Unversehrtheit hätte ich gerne, man geht zum Training und legt sofort los. Früher hat der Körper alles ausgehalten, aber wenn ich jetzt meine Erwärmung falsch starte, kann sich das auf das ganze Training auswirken. In den Hochbelastungsphasen ist das ein ganz schöner Eiertanz.
Ist man bei den vierten Olympischen Spielen immer noch aufgeregt?
Hausding: Aufgeregt ist man immer. In der Vorbereitung haben mich in ruhigen Momenten auch die Erinnerungen überrumpelt, dann kamen viele Erfahrungen hoch. Wenn man mir da einen Pulsmesser angelegt hätte, hätte man gesehen, dass ich selbst in Ruhe auf der Couch einen 120er Puls hatte. Das sind kognitive Prozesse, die man nicht einfach ausschalten kann. Das wird auch beim Wettkampf so sein. Es geht um Olympia – und dann ist es egal, dass ich schon dreimal dabei war. Aufregung und Leistungsdruck beginnen immer wieder von vorne.
Können Sie Ihre letzten Olympischen Spiele genießen oder geht das als Leistungssportler nie?
Hausding: Ich hoffe, dass das gepaart mit guter Leistung zu Ende geht und ich mich von meinen letzten Spielen nicht mit einem schlechten Wettkampf verabschiede. Danach bin ich erstmal erleichtert und freue mich auf den anschließenden Urlaub und eine ruhige Zeit. Ich werde mir überlegen, wie es weitergeht, ob eine weitere Saison und die WM noch Sinn machen. Aber es werden auf jeden Fall die letzten Spiele sein.
Hat man eigentlich irgendeine Ahnung, wie viele Sprünge es am Karriereende sein werden?
Hausding: Da reicht unsere Daten-Dokumentation nicht weit genug zurück. Aber bei 25 Jahren Wasserspringen kommt schon Einiges zusammen, das werden über 200 000 Sprünge sein.
Wie ist die Form vor den letzten olympischen Sprüngen?
Hausding: Es geht mir gut. Ich konnte zu 100 Prozent mein Training durchziehen. Das ist mit 32 Jahren keine Selbstverständlichkeit. Vor unserer Abreise aus Deutschland haben wir zeitversetzt trainiert, um uns auf den Zeitunterschied einzustellen. Statt um 9 Uhr haben wir um 4 Uhr trainiert und den weiteren Tagesverlauf angepasst. Ins Bett ging es dann gegen 18 Uhr. Das hat beim Weltcup in Tokio geholfen und hilft hoffentlich auch dieses Mal.
Wie sehr schmälert die Corona-Situation die Vorfreude?
Hausding: Wir haben es in der Pandemie ja schon schlimmer erlebt als in der jetzigen Situation und uns längst an alles gewöhnt. PCR-Test, Schnelltest, Speicheltest ist für uns täglich Brot. Wie viele Stäbchen wir in diesem Jahr alle schon in der Nase hatten, kann man gar nicht mehr zählen. Für uns Sportler ist das keine große Sache, aber unsere Trainer und Betreuer haben so viel Organisationsaufwand, dass sie einem leidtun können. Wir Sportler wissen, was uns erwartet und stellen uns darauf ein. Es heißt für uns: hinfliegen, abliefern und dann wieder ab nach Hause.
Der Bewegungsradius der Sportler wird stark eingeschränkt sein. Haben Sie Sorge vor Langeweile?
Hausding:Ich glaube, dass es sehr entspannt wird, weil wir eine Wohnung mit einzelnen Schlafzimmern haben und keine Hotelzimmer. Mal in einer WG zu leben ist sicher auch ganz witzig. Die Jungs sind alle Mario-Kart-Fans, das werden wir auf jeden Fall spielen. Ich habe mir auch Mario bei den Olympischen Spielen gekauft, mal schauen, wie das wird. Das passt thematisch zumindest ganz gut. Sicher wird es auch mal einen Lagerkoller geben, weil jeder auf die Bedürfnisse der anderen eingehen muss. Aber ich bin der Älteste – also habe ich sowieso das Sagen (lacht).
Machen Sie sich gesundheitlich Sorgen wegen der Corona-Situation?
Hausding: Man kann nie etwas garantieren, aber ich bin die ganze Zeit vorher auch durchgekommen. Wenn man sich wirklich strikt an die Regeln hält – und das habe ich getan und keine Ausnahmen gemacht -, ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sehr gering. Die größte Gefahr sind die Flüge. Im Olympischen Dorf ist die Gefahr nicht so groß. Die Sportler sind weitestgehend geimpft, werden regelmäßig getestet, die Ansteckungsgefahr untereinander geht gegen Null.
Wann würden Sie von einem gelungenen Olympia-Abschied sprechen?
Hausding: Es gab Wettkämpfe, bei denen ich mit einer Super-Leistung oben gelandet bin, aber es gab auch Wettkämpfe, bei denen eine Super-Leistung nicht zu einem Podestplatz gereicht hat. Man kann keine Prognosen abgeben, am Ende entscheidenden Millimeter und Millisekunden.
In Ihrer Karriere wurden Sie vom Bundestrainer wegen Ihrer Flugfertigkeiten schon als «Katze» bezeichnet. Passt das?
Hausding: Wenn man jahrelang durch die Luft fliegt, entwickelt man ein Gefühl dafür, wie man sich in der Luft verhalten muss, um gut zu landen. Insofern haut das hin. Irgendwie werde ich immer mit Tieren verglichen. Es hieß auch mal Kampfsau oder Kampfschwein. Mal schauen, welchen Tiervergleich es nach diesen Olympischen Spielen gibt.
ZUR PERSON: Patrick Hausding (32) ist mit 17 EM-Titeln Rekordeuropameister im Wasserspringen. Der zweimalige Olympia-Medaillengewinner zählt seit mehr als einem Jahrzehnt zur Weltspitze. Hausding lebt in Berlin. Für den angehenden Lehrer sind es die letzten Olympischen Spiele.