Nach dem Olympia-Drama um die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu haben die Szenen aus Tokio mit dem scheuenden Pferd, der weinenden Sportlerin und der verlorenen Goldmedaille zu ersten Konsequenzen und Schuldzuweisungen geführt.
Bundestrainerin Kim Raisner wurde wegen ihres Verhaltens in der Situation vom Rest der Olympischen Spiele ausgeschlossen. Der deutsche Präsident des Weltverbands UIPM, Klaus Schormann, machte den Tierarzt mitverantwortlich und reagierte gereizt auf die rasch aufgekommenen Forderungen nach einer Anpassung der Regeln.
Schleu hatte am Freitag beste Aussichten auf eine Goldmedaille. Ihr Leih-Pferd verweigerte beim Springreiten allerdings. Die 31 Jahre alte Sportlerin brach in Tränen aus und setzte verzweifelt die Gerte ein. Mit den Worten «Hau mal richtig drauf! Hau drauf!» war sie dazu – gut hörbar im Fernsehen – von ihrer Trainerin aufgefordert worden. Beide sahen sich im Anschluss massiver Kritik ausgesetzt.
«Ich wusste, dass Bilder um die Welt gehen werden, die nicht schön sein werden, aber ich hatte nicht mit so einer Art von Shitstorm oder mit so viel negativem Hass gerechnet», berichtete Schleu der Deutschen Presse-Agentur.
Weil Raisner das Leih-Pferd Saint Boy nach Wahrnehmung des Weltverbandes UIPM zudem mit der Faust geschlagen hatte, wurde sie am Samstag einen Tag vor der Schlussfeier von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. «Ihr Verhalten wurde als Verstoß gegen die UIPM-Wettkampfregeln gewertet», teilte der Verband mit.
Entscheidung sei einvernehmlich
Zuvor hatte DOSB-Präsident Alfons Hörmann bereits die Entscheidung verkündet, dass Raisner beim Männer-Wettkampf keine Funktion mehr haben werde. Die Entscheidung sei einvernehmlich nach einer Besprechung mit Schleu, Raisner und Susanne Wiedemann, Sportdirektorin des Deutschen Verbands für Modernen Fünfkampf (DVMF), getroffen worden.
Die Disqualifikation durch den Weltverband habe man dagegen aus den sozialen Medien erfahren, berichtete Wiedemann der Deutschen Presse-Agentur. «Wir haben keine offizielle Mitteilung bekommen. Wir wurden nicht angehört, die Trainerin auch nicht.» Schormann widersprach dem wenige Stunden später: «Natürlich war sie informiert. Wir haben ständig Kontakt. Das ist doch alles Unsinn. Die Situation war so eindeutig.»
Eine Schuld sah der Funktionär beim Tierarzt. «Dieser Veterinär hat absolut versagt», sagte er nach dem Abschluss des Männer-Wettkampfs, im dem die beiden deutschen Starter Fabian Liebig und Patrick Dogue nicht über die Plätze 19 und 20 hinausgekommen waren. «Wenn ich so etwas sehe, dann darf ich so ein Pferd nicht mehr loslassen», sagte Schormann. Saint Boy hatte zuvor bereits bei der Teilnehmerin aus Russland drei Mal verweigert. Laut Regelwerk ist erst bei vier Verweigerungen ein Wechsel für nachfolgende Reiterinnen oder Reiter vorgesehen, der Antrag von Raisner auf einen Wechsel wurde abgelehnt.
Olympiasiegerin Schöneborn reagierte irritiert
Peking-Olympiasiegerin Lena Schöneborn reagierte irritiert auf die Aussagen der Bundestrainerin. «Ich kann die Sätze nicht nachvollziehen», sagte sie der «Bild». Die emotionale Anspannung sei massiv, aber das sei keine Entschuldigung, so die Fünfkämpferin, die 2008 Gold geholt hatte.
Die Vereinigung «Athleten Deutschland» sicherte Schleu Unterstützung zu. «Die Anfeindungen und der teils offene Hass, der ihr seit dem gestrigen Reit-Wettkampf in den sozialen Netzwerken entgegenschlägt, ist inakzeptabel und aufs Schärfste zu verurteilen», teilte die Organisation am Samstag mit.
Der DVMF forderte eine Anpassung des Reitreglements. «Entsprechende Änderungen wurden bereits erarbeitet und dem Weltverband (UIPM) vorgeschlagen», teilte der Verband mit. Schöneborn sieht ebenfalls mögliche Stellschrauben im Regelwerk. «Eine Möglichkeit wäre es, den Fünfkämpfern bereits einen Tag vorher die Pferde zuzulosen», sagte die 35-Jährige in der ARD. Dieser Schritt würde viel verändern. «In dieser Situation waren wir bisher noch nicht, so drastisch ist uns noch nicht vor Augen geführt worden, dass es tatsächlich ein Fehler im Reglement ist.» Die aktuellen Wettkampfbestimmungen erlauben den Sportlerinnen vor dem Ritt nur 20 Minuten, um sich mit dem zugelosten Pferd vertraut zu machen.
Weltverbandspräsident wehrt sich
Schormann wehrte sich gegen die Kritik. «Für uns ist völlig klar: Man muss uns nicht auffordern, über das Regelwerk nachzudenken. Das tun wir permanent», sagte er. Für die Spiele in drei Jahren in Paris sei bereits ein neues Format beschlossen. «Wir haben das Regelwerk überarbeitet schon die letzten drei Jahre und haben all das, was jetzt kritisiert wird, schon längst zu Papier gebracht. Aber wir dürfen unser Regelwerk nur alle vier Jahre verändern, das ist in den Statuten festgelegt. Wir mussten die Regeln, die wir haben, hier anwenden», sagte er.
Der DVMF will sich Zeit nehmen, um die Geschehnisse aufzuarbeiten. Allerdings wehrt sich der Spitzenverband entschieden dagegen, dass eine Sportlerin persönlich beschimpft und beleidigt werde. Der Verband wünscht sich «eine konstruktiv-sachliche Debatte rund um den Modernen Fünfkampf», hieß es in der Mitteilung.