Mit nassem Frack und leuchtenden Augen berichtete die neue Dressur-Königin von der wilden Champagner-Party auf dem EM-Podium.
«Sie war richtig aggressiv», erzählte Jessica von Bredow-Werndl von der Schaumwein-Schlacht nach der Siegerehrung, bei der sie zuvor ihre dritte Gold-Medaille erhalten hatte. Mit Flaschen in der Hand versuchten drei Dressurreiterinnen, sich nach der Edelmetall-Vergabe gegenseitig zu bespritzen.
Champagner direkt ins Auge
Der Champagner ging bei von Bredow-Werndl «direkt ins Auge», berichtete die 35 Jahre alte Triple-Championesse, die Cathrine Dufour aus Dänemark und die Britin Charlotte Dujardin im Viereck hinter sich gelassen hatte und sie mit Verspätung auch nass machte: «Meine Flasche hat erst geklemmt!»
Von Bredow-Werndl hatte allen Grund zum Feiern, denn mit den drei Siegen bei der Heim-EM in Hagen bei Osnabrück stellte sie einen einzigartigen Rekord auf: Innerhalb von nur sechs Wochen räumte sie fünf goldene Medaillen ab. «Es ist unglaublich, es fühlt sich an wie ein Märchen», schwärmte die Doppel-Olympiasiegerin von Tokio, der die Verschiebung der Spiele geholfen hat.
«Sie ist im Moment das Maß der Dinge, das steht außer Frage», kommentierte Isabell Werth, die sich am Samstag in der abschließenden Kür im Sattel von Weihegold mit Rang vier begnügen musste und sagte: «Der Akku war leer, die Luft war raus.» Die erfolgreichste Reiterin der Welt kündigte für die kommenden Championate wie die WM 2022 in Dänemark aber an: «Wir werden alle versuchen, ihr das Leben schwer zu machen.»
In diesem Sommer zumindest reitet von Bredow-Werndl mit Dalera in einer eigenen Liga. Sie dominierte mit ihrer Stute die EM am Rande des Teutoburger Waldes in einer Art und Weise, wie die Dressurfans es bisher nur von Werth kannten, die bei den Europameisterschaften 2017 und 2019 ebenfalls Dreifach-Gold gewonnen hatte.
«Jetzt bin ich die Gejagte»
«Bisher war ich die Jägerin, jetzt bin ich die Gejagte», sagte die Siegerin – und sie fügte vergnügt an: «Das fühlt sich deutlich besser an als andersherum.» Zum EM-Abschluss gab es die Jagd allerdings nur bei der Champagner-Schlacht, nicht im Viereck. Für die Kür mit Dalera zu Musical-Melodien des Films «La La Land» erhielt von Bredow-Werndl 91,021 Prozent und ritt damit völlig unangefochten zum dritten Sieg nach dem Team-Gold und dem Einzel-Gold im Grand Prix Special. Der Abstand von Dufour mit Bohemian (88,436) und Dujardin mit Gio (87,246) war sehr deutlich.
Dieses Mal störte es nicht einmal, dass ihre Stute in der Prüfung äppelte. Was sie vor zwei Jahre bei der EM in Rotterdam noch gehörig aus dem Konzept gebracht hatte, als die Patzer nach der unpassenden Darmtätigkeit einige Prozentpunkte gekostet hatten. «Davor habe ich keine Angst mehr, ich weiß, sie kann es nun.»
Mit der 14 Jahre alten Trakehner-Stute, die «in der Arena ein Rockstar» sei, bildet die Reiterin aus dem bayerischen Tuntenhausen eine elegante Einheit. «Wir surfen gerade die Welle. Vom ersten bis zum letzten Tag hatte Dalera Power», sagte die Siegerin: «Sie hat gezeigt, wie viel Lust sie hat.» Rund 4000 Zuschauer waren begeistert. «Es war toll, wieder vor Publikum zu reiten», schwärmte die Siegerin.
«Vom Gefühl war es die beste Kür, die wir je hatten», erklärte von Bredow-Werndl. Die Prozentzahl war allerdings bei ihrem Triumph in Tokio noch etwas höher. Wie es jetzt weitergeht nach der beispiellosen Medaillenausbeute? Für die Konkurrenz muss sich von Bredow-Werndls Antwort wie eine Drohung anhören: «Ich werde einfach noch mehr davon sammeln.»