Airport-Experte Nagelsmann liebt das Gegenpressing

Die Provinz-Airports in Schönhagen südlich von Berlin und Oberpfaffenhofen nahe München meldeten bis zum frühen Montagmorgen keine Beeinträchtigungen im Flugverkehr.

Es ist also mit großer Gewissheit anzunehmen, dass Julian Nagelsmann und seine monströsen Gegenpressing-Bayern wohlbehalten und zur Erleichterung des Bayern-Trainers auch mit komplettem Gepäck in der Heimat angekommen sind.

Mit einer Melange aus Verblüffung und Belustigung hatte Nagelsmann am Vorabend in Berlin festgestellt, dass die Reiseabwicklung des Fußball-Rekordmeisters in der Hauptstadt von nahezu größerem Interesse war, als die überwältigend (aus Bayern-Sicht) bis beängstigend (aus Gegner-Sicht) gute Vorstellung des Bundesliga-Tabellenführers im offensivem Defensivverhalten.

Starker Bayern-Auftritt bei Hertha BSC

Nach dem rauschhaft zelebrierten 4:1 bei Hertha BSC startet Nagelsmann in eine trotz beruhigendem Sechs-Punkte-Polster auf Borussia Dortmund wichtige Aufbauphase. «Winterpause würde ich nicht sagen. Trainingswoche trifft es besser», meinte Nagelsmann zu dem ungewöhnlichen und doch willkommenen Break bis zum Duell gegen seinen Ex-Club RB Leipzig am 5. Februar.

Fast alle Corona-Fälle sind überwunden. «Wir sind froh, dass wir normal trainieren können. Wir hatten jetzt schon drei Wochen mit reduziertem Personal», sagte Nagelsmann. Während Vorstandschef Oliver Kahn bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorsprach, soll die Pandemie als Thema wieder raus aus den Spielerköpfen.

Topwerte in Europa

Nagelsmann will andere Schwerpunkte setzen. «Wir sind in Europa die Mannschaft mit den meisten hohen Ballgewinnen», dozierte er über das perfektionierte Turbo-Verteidigen in der gegnerischen Hälfte. Gegen die bemitleidenswerte Hertha resultierten daraus 29 Schüsse auf das Tor – ein Liga-Höchstwert.

Nagelsmann war die Freude über die Umsetzung seiner Philosophie anzumerken. Doch der taktik-berauschte Bayern-Coach weiß natürlich, dass diese Spielweise nicht nur gegen Teams wie Hertha BSC, sondern im weiteren Saisonverlauf bestmöglich auch gegen die Kategorie Manchester City und Paris Saint-Germain zum Erfolg führen muss.

Vertrauen in den Busfahrer

Mit der besonderen Topographie der diversen Flughäfen in und um Berlin wollte sich Nagelsmann deshalb nicht auch noch beschäftigen. «Ich steige in den Bus ein und steige wieder aus, wo er anhält, und steige in den Flieger, und dann fliege ich heim. Ich schaue, dass ich meinen Koffer dabei habe und meinen Rucksack», sagte er.

Nagelsmann konnte schließlich nur erahnen, dass es in der Hauptstadt durchaus ein Thema war, wo der Rekordmeister landete und wieder abhob. Schließlich wetteifern der von den Münchnern nach ihrem missratenen Katar-Flug vor einem Jahr diesmal gemiedene große BER und die verzweifelt nach Größe strebende Hertha seit geraumer Zeit ungewollt um Platz eins in der lokalen Pannenstatistik.

Durch das ganz bewusste Ausweichen auf den vornehmlich von Hobby-Fliegern und Helikopter-Piloten genutzten Provinz-Airport in Schönhagen, knapp 50 Kilometer südlich des Olympiastadions, blieb der internationale Flughafen in Schönefeld von einem bayerischen Tauglichkeitstest diesmal verschont. «Es kann schon sein, dass das am letztjährigen Abflug nach Katar lag», vermutete Nagelsmann. Damals hatten die Bayern die ganze Nacht auf dem Rollfeld im Flieger sitzen müssen.

Doch Nagelsmann irrte. Die Logistik sprach für den kleineren Airport, erklärte ein Vereinssprecher am Montag. Die Spieler mussten in Schönhagen nicht noch durch ein großes Terminal laufen. «Es geht einfach schneller, weil der Bus direkt heranfahren kann.» So ließen sich auch mögliche Corona-Kontakte vermeiden.

Lewandowski ohne Tor in Berlin

Mit der Hertha kannten die Münchner keine Gnade. «Unsere Spieler waren extrem scharf im Gegenpressing, da haben wir sehr viel Druck gemacht», sagte Nagelsmann und konstatierte eine der besten ersten Halbzeiten seiner Münchner Amtszeit. Mehr als die je zwei Tore pro Abschnitt durch Corentin Tolisso und Thomas Müller sowie Leroy Sané und Serge Gnabry hätte es für noch mehr Berliner Ungemach in Halbzeit eins und zwei locker geben können. «Es hat 90 Minuten Spaß gemacht», meinte Joshua Kimmich.

Nur Robert Lewandowski offenbar nicht. Der Rekordstürmer habe dem Vernehmen nach im ersten Spiel nach seiner erneuten Kür zum Weltfußballer des Jahres in der Kabine – da diesmal persönlich torlos – Scherze der Kollegen ertragen müssen. Dass der Pole mitgelacht habe, könne er sich «nicht so extrem vorstellen», meinte Nagelsmann. Die fehlende Gabe zur Selbstironie beim überehrgeizigen Lewandowski ist das derzeit wohl größte Bayern-Problem.

Von Arne Richter, dpa