«Auf einer Mission»: Schröder und Co. auf Nowitzkis Spuren

Live-Spiele zur besten Sendezeit im Free-TV, volle Hallen und eine riesige Euphorie: Auf ihrer Medaillen-Mission haben Deutschlands Riesen einen vor der Heim-EM kaum für möglich gehaltenen Basketball-Boom ausgelöst.

Mit dem ersten Halbfinal-Einzug seit der Dirk-Nowitzki-Ära vor 17 Jahren will sich das Team um Kapitän Dennis Schröder aber noch lange nicht zufriedengeben. «Vor der EM war eine Medaille das Ziel. Natürlich wollen wir jetzt Gold», sagte Center Daniel Theis nach dem atemberaubenden 107:96 im Viertelfinale gegen Titelfavorit Griechenland mit NBA-Superstar Giannis Antetokounmpo.

Auf furiose Art und Weise nahmen Schröder und Co. die nicht nur mit Antetokounmpo, sondern zahlreichen weiteren Euroleague-erfahrenen Profis gespickte griechische Mannschaft auseinander. Die zweite Halbzeit vor 14.073 völlig ekstatischen Fans in der Arena am Berliner Ostbahnhof und in der Spitze 2,06 Millionen Menschen bei RTL war die beste, die eine deutsche Mannschaft seit Jahrzehnten gespielt hat. Der Lohn: RTL wird neben MagentaSport auch das Halbfinale gegen Spanien am Freitag (20.30 Uhr) live übertragen.

«Das ist unglaublich»

«Das ist unglaublich für den deutschen Basketball, wie diese Jungs auf deutschem Boden bislang performt haben», lobte Bundestrainer Gordon Herbert seine Auswahl. «Die Leute können diese Identität der Mannschaft sehen und sich damit identifizieren», sagte der Kanadier, der großen Anteil am deutschen Aufschwung hat. «Ich habe schon im Oktober gesagt, dass wir bei der EM eine Medaille holen wollen. Da haben mich viele angeschaut, als sei ich verrückt.»

Doch nun ist die erste Medaille seit Silber bei der EM 2005 in Serbien keine Utopie mehr. Im Halbfinale wartet in Weltmeister Spanien zwar erneut eine Basketball-Großmacht. Aber so wie das deutsche Team um den von einer Knöchelverletzung rechtzeitig genesenen Energizer Franz Wagner, Dreipunktwurf-Titan Andreas Obst und Anführer Schröder bislang gegen Top-Gegner wie Frankreich, Litauen, Slowenien und nun Griechenland aufgetreten ist, gibt es für die Gastgeber kein Limit. «Wir sind noch nicht fertig», brachte es Obst auf den Punkt.

Das Herbert-Team hat eine Entwicklung durchgemacht, die ihm noch vor ein paar Wochen niemand zugetraut hätte. Die Absagen von wichtigen Spielern wie Maxi Kleber, Tibor Pleiß, Isaac Bonga, Moritz Wagner oder Isaiah Hartenstein sowie temporäre Ausfälle von Schröder und Theis während der Vorbereitung hatten Zweifel am Leistungsvermögen der deutschen Auswahl gesät. Auch die sportlich korrekte, vom Verband aber ungeschickt kommunizierte Nicht-Nominierung des langjährigen Kapitäns Robin Benzing drückte auf die Stimmung. Die große Frage war: Schaffen es Schröder und Co. überhaupt zur Endrunde nach Berlin?

Verschworene Einheit geformt

Sie schafften es – und wie. Auch weil es Herbert gelungen ist, eine verschworene Einheit zu formen. Die sportliche Klasse eines Kleber mag vielleicht fehlen. Bei der verkorksten WM vor drei Jahren in China war die individuelle Qualität im Team vielleicht sogar größer, die Mischung der unterschiedlichen Charaktere passte damals aber nicht. Das ist nun anders.

«Es ist unsere Stärke, dass wir viele erfahrene Jungs haben. Viel wichtiger ist aber, dass es Jungs nicht persönlich nehmen, wenn ihnen etwas gesagt wird», beschrieb Jungstar Wagner das Teamgefüge. «China war ein Reinfall. Aber wir sind alle gereift und haben daraus gelernt», sagte Theis jüngst in einem Interview der «Braunschweiger Zeitung».

Gereift und euphorisiert soll nun die Revanche gegen die Spanier gelingen, gegen die 2017 bei der EM im Viertelfinale Endstation war. «Wir können den Moment genießen, aber wir schulden den Spaniern noch was von der EM von vor fünf Jahren», sagte Theis. Zunächst stand am Mittwoch aber ein Ruhetag auf dem Programm. Die intensiven 40 Minuten gegen Griechenland hatten Spuren hinterlassen, statt Trainings lag der Fokus auf Regeneration und Pflege. Ein Viertel des Teams war schon vor dem Viertelfinale angeschlagen.

«Es ist ein Turnier der Überlebenden», sagte Herbert. Und sein Team ist noch dabei. Ein Finaleinzug würde die Euphorie endgültig in im deutschen Basketball bislang nie da gewesene Sphären katapultieren. «Ich glaube, so etwas kann Leute bewegen», sagte Schröder, der von Herbert am Mittwoch ein Extralob für seine bisherigen Leistungen bekam. «Es wurde viel über Giannis (Antetokounmpo), Luka (Doncic) und (Nikola) Jokic gesprochen. Ich glaube, es ist Zeit, über Dennis Schröder zu sprechen», sagte der Bundestrainer über seinen Kapitän, der gegen Griechenland mit 26 Punkten und acht Assists überragte.

Von Lars Reinefeld und Patrick Reichardt, dpa