Auslosung in Katar: Die WM, die politisch sein muss

Da, wo Robert Habeck stand, sonnen sich wieder Badegäste. Und nahe der Auffahrt des Luxushotels in Katars glitzernder Hauptstadt Doha wehen die violetten Fahnen der Fußball-WM.

Der Bundeswirtschaftsminister war Mitte März zu Gast, um im Schatten des Kriegs in der Ukraine über neue Energieverträge zu verhandeln. Plötzlich, kurz vor der Gruppenauslosung an diesem Freitag, spielt auch die Bundesregierung sichtbarer mit in der verfahrenen Diskussion um die WM 2022, deren Gastgeber laut internationalen Organisationen nicht viel auf Menschenrechte und das Leben ausländischer Arbeiter gibt.

«Menschenrechte nach wie vor missachtet»

Wenzel Michalski ist Deutschland-Chef von Human Rights Watch. In Katar «werden die Menschenrechte nach wie vor missachtet», betont er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Auch Amnesty International stellt im aktuellen Jahresbericht ein desolates Zeugnis aus. Arbeitsmigranten seien in 2021 trotz staatlicher Reformen «weiterhin von Ausbeutung betroffen» gewesen. Die Institutionen befürchten Rückschritt statt Fortschritt, entgegen der Beteuerungen aus Katar.

«Natürlich ist es kein Paradies. Natürlich ist es nicht perfekt. Natürlich gibt es noch viel zu tun, aber da müssen wir dranbleiben. (…) Wir müssen Veränderungen fördern», sagte FIFA-Präsident Gianni Infantino kurz vor dem Kongress des Weltverbands an diesem Donnerstag und der Auslosung am Freitag. «Das Vermächtnis in Bezug auf Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte ist und wurde bereits vor der Weltmeisterschaft erreicht.»

Der Schweizer bezog im vergangenen Jahr einen Wohnsitz in Katar. Ein Video, in dem Infantino mit kruden «Katar, Katar»-Rufen bei der Veranstaltung für die freiwilligen Helfer Stimmung machen will, sorgte zu Wochenbeginn für Belustigung in den sozialen Medien.

Habeck: «Katastrophale Bedingungen»

Habeck war nach Katar gereist, um Auswege aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu finden. Sein Ministerium verbreitete ein Twitter-Video mit dem durchaus nachdenklichen Grünen-Politiker in der Sonne Dohas und Strandnähe, Habeck sprach von früher «katastrophalen Bedingungen» in Katar, die sich durch «Druck auch aus Deutschland» aber geändert hätten. Zumindest zum Teil. Michalski verfolgte das kritisch: «Er hat wortwörtlich das gesagt, was die Narrative der katarischen Regierung sind: Es ist nicht alles toll hier, aber wir bemühen uns.»

Die Regierung des Emirats sei «so schlau zu sagen, wir machen das alles, wir tun unser Bestes», sagt der Menschenrechtler. «Kritik erwidern sie mit Selbstkritik, die entwaffnend ist, das ist ein geschickter Trick.»

Auf dem Papier wurde das in der Region verbreitete Kafala-System, das Arbeitnehmer an ihre Arbeitgeber bindet und ihnen praktisch alle Rechte nimmt, abgeschafft. Franz Beckenbauer sprach vor Jahren den Satz, er habe «nicht einen einzigen Sklaven» in Katar gesehen. Damals war das noch unzutreffender als heute. Die verstörenden Berichte über Tausende Todesfälle auf den Baustellen werden von der Regierung mit einer zu erwartenden Sterberate angesichts von mehr als 1,4 Millionen Menschen aus der Region beantwortet.

Bundesregierung will Prinzipien treu bleiben

Habeck habe «deutlich gemacht, was für Abwägungsprozesse das sind», sagt SPD-Chef Lars Klingbeil der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundesregierung vertrete weiterhin ihre Prinzipien. «Wir haben Werte und diese Werte artikulieren wir auch laut. Wir haben Erwartungen, dass die Menschenrechte eingehalten werden, dass es Arbeitsschutzmaßnahmen gibt, auch dass die Entlohnung und der Umgang mit Arbeitnehmern fair ist», sagte Klingbeil. Es dürfe nicht das Prinzip gelten, «wir wollen mit euch über Gaslieferungen reden, aber zum Rest schweigen wir. Das geht auf gar keinen Fall.»

Das im Fußball damals bedeutungslose Land am Persischen Golf hatte den Zuschlag für die WM in einer skandalumtosten Doppel-Vergabe erhalten, das Weltturnier 2018 ging an Russland. Etliche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees sind inzwischen der Korruption überführt. Katar bestreitet bis heute, unlautere Mittel eingesetzt zu haben. Infantino, damals noch UEFA-Gesandter, gilt inzwischen als enger Freund des Emirats, er lernte Arabisch.

Gegenseitige Abhängigkeit

Wenige Monate vor dem Turnier ist die gegenseitige Abhängigkeit offensichtlich. Das Turnier wird – entgegen der immer wieder laut werdenden Boykottaufrufe – in Katar stattfinden. Die FIFA muss sich gut stellen, wie auch etliche andere Partner. «Katar steigt mit seiner diplomatischen Soft Power zu einem World Player auf», sagt Michalski über die Verflechtungen in Sport, Politik und Wirtschaft. Die diplomatische Krise, als sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten gegen Katar verbündeten, überstand der WM-Gastgeber Anfang 2021. Jetzt rückt er womöglich näher an Deutschland.

Ein Tribünenbesuch deutscher Politiker bei der WM an sich «wäre vielleicht nicht so problematisch», sagt Michalski. «Sie dürfen aber nicht einfach nur neben dem Emir stehen und lustig in die Kamera winken. Sie sollen Menschenrechte öffentlich einfordern und das vor der Presse darstellen, was sie gesagt haben.» Die Forderung nach einem politischen Boykott – wie jüngst bei den Olympischen Winterspielen in China – spricht Human Rights Watch bislang nicht aus. Dafür eine andere.

«Wir sprechen eine klare Empfehlung an die FIFA und den DFB: Sie sind verpflichtet, nach den Richtlinien der Vereinten Nationen Reparationen an die Familien zu zahlen, die ihre Männer auf den Baustellen verloren haben», sagt Michalski. Das Narrativ, die WM-Baustellen seien von anderen mit mutmaßlich schlechteren Arbeitsbedingungen klar zu trennen, sei nicht nachvollziehbar. An welcher Straße, welcher U-Bahn-Station, welchem Hotel sollte die Grenze gezogen werden?

Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf kündigte an, bei seinem ersten Besuch in Katar «erste politische Kontakte zu knüpfen, Gespräche zu führen. Das erschöpft sich aber sicher nicht in diesem einen Besuch», sagte Neuendorf zu Wochenbeginn. Die Reise in das Emirat war für Mittwoch geplant.

Der Weltverband präsentiert den Kongress-Gästen in dieser Woche bei bestem Wetter einige der hochmodernen Stadien. Das Endspiel vor dann wahrscheinlich fast 90.000 Menschen wird in der Lusail-Arena angepfiffen. Infantino und die FIFA verweisen immer wieder auf die Fußball-Begeisterung im Land, das Millionen Fans aus aller Welt erwartet. Es soll ein Fest werden in den vermeintlich nur auf den Autoverkehr ausgelegten Straßenschluchten der Hauptstadt Doha.

Von Jan Mies und Florian Lütticke, dpa