Badener der besonderen Art: Streichs Jubiläum in Freiburg

Für einen kurzen Moment fängt Christian Streich an zu träumen. Nicht von Fußball. Erst recht nicht von der Champions League.

«Am liebsten», sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur, «würde ich ein halbes Jahr durch Indien laufen. Da gibt es alles.» Er sei schon mal drei Wochen dort gewesen, so der Trainer des SC Freiburg. «Aber das war viel zu kurz. Du brauchst ja erstmal Zeit, diesen Kulturwechsel zu verkraften.»

Trainer mit Persönlichkeit und Charisma

Seine Antwort auf die Frage, was er unbedingt noch sehen oder erleben möchte, verrät viel über Streich. Für den Fußball das Größte und trotzdem nicht alles ist. Der diese Woche sein zehnjähriges Jubiläum als Chefcoach beim Sport-Club feiert, aber nicht nur deshalb in seiner Branche eine Besonderheit darstellt. Streich ist nicht nur der Star seines Vereins, sondern eine Persönlichkeit, die sich längst auch außerhalb ihrer Sportart großer Popularität und Wertschätzung erfreut. Seine Interessen gehen weit über den Rasen hinaus und reichen tief in unterschiedlichste – auch gesellschaftspolitische – Themen hinein. Er hat klare Meinungen – und tut sie offen kund.

Auf den wöchentlichen Pressekonferenzen vor Spieltagen zum Beispiel. Manchmal sogar fast bis zu einer Stunde lang und mitunter in breitem Dialekt. Und auf eine «ganz herzerwärmende, manchmal lustige, aber immer mit sehr viel Inhalt geprägte Art», wie Trainerkollege Julian Nagelsmann vom deutschen Rekordmeister FC Bayern München findet. Streich ist Badener durch und durch – und trotzdem ein Mann von Welt.

Schon als Spieler war der Sohn eines Metzgers aus Eimeldingen im Landkreis Lörrach nicht weiter als nach Homburg oder nach Stuttgart zu den Kickers gekommen. 1995 begann er als Trainer in der Jugend des SC Freiburg, am 29. Dezember 2011 übernahm er die Profis. «Ich bin jetzt 56 Jahre alt und habe mich wohnungsmäßig maximal 200 Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt. Es scheint, dass ich ein erzkonservativer Bock bin, der von der Welt spricht und immer am gleichen Ort bleibt», sagt Streich. Warum sollte er es auch ändern?

Starke Hinrunde und ein neues Stadion

Trotz bescheidener finanzieller Mittel sind die Freiburger in den bisherigen zehn Jahren unter Streich nur einmal aus der Bundesliga abgestiegen. Die aktuelle Winterpause verbringen sie auf dem dritten Tabellenplatz, der am Saisonende zur Teilnahme an der Champions League berechtigen würde. Die Zeiten, in denen die Breisgauer jeden Sommer ihre besten Profis abgeben mussten, scheinen vorbei. Seit Oktober spielen sie in einem neuen Stadion. Und neben dem sportlichen Erfolg genießt Streich Privilegien, die den meisten Trainern vorenthalten bleiben. Statt monatelang aus dem Koffer lebt und arbeitet er seit Jahren im gewohnten Umfeld.

Warum er seinen Vertrag beim Sport-Club trotzdem immer nur um eine Saison verlängert? «Ich möchte gehen, wenn ich sage: Jetzt ist es genug oder jetzt hat man sich erschöpft», sagt Streich. Der Job kostet viel Kraft. Den Trainer. Aber auch seine Spieler. «Er fordert sehr viel ein an Disziplin, Detailarbeit und Aufmerksamkeit», sagt Freiburgs Verteidiger Philipp Lienhart, der unter Streich zum österreichischen Nationalspieler reifte. «Aber er hat eben auch ein unglaublich feines Gespür, wie er mit welchem Spieler umgehen muss.» Dafür war Streich schon in seiner Zeit als Nachwuchscoach bekannt.

Bei Freiburgs Profis bildet er ein enges Gespann mit Sportvorstand Jochen Saier und Sportdirektor Klemens Hartenbach. Auch diese seit Jahren eingespielte und enge Verbindung erlaubt es Streich, bei seinen Vertragsverhandlungen immer nur kurzfristig zu denken. Nach dem Abstieg 2015 sei er von vielen Journalisten gefragt worden, ob er weitermache, erzählt Streich. «Normal wird da gefragt, ob man glaubt, dass man bleiben darf. Das zeigt, wie die Vereinsführung nach außen kommuniziert hat. Da war für mich ganz klar, dass ich weitermache.»

Erfolgreiche Arbeit im Breisgau

Über 300 Bundesliga-Spiele hat Streich als Freiburger Chefcoach inzwischen schon erlebt, 100 davon gewonnen. «Zehn Jahre in einem Verein arbeiten zu dürfen und zu können, ist eine außergewöhnliche Leistung und Auszeichnung», sagt sein Kollege Pellegrino Matarazzo vom Liga- und Landesrivalen VfB Stuttgart, bei dem im gleichen Zeitraum weit mehr als zehn verschiedene Trainer auf der Bank saßen.

Er habe nie «in solchen Dimensionen gedacht», sagt Streich über seine Beständigkeit. Wenn er aber «darüber nachdenke, dass mein Sohn mich quasi nur in dieser Funktion kennt und mittlerweile auch nicht mehr so klein ist, wird mir schon bewusst, was für eine lange Zeit zehn Jahre eigentlich sind». Dass der Fußball den Sport hierzulande derart dominiert, bedauert Streich, der als Kind viel Eishockey geschaut hat. Er freue sich aber, «dass ich so eine Mannschaft trainieren darf und uns so viele Menschen beim Fußball spielen zuschauen», sagt er.

«Fußball gehört in Deutschland seit 1954 so dazu wie Kaffeetrinken oder Zähneputzen», findet der dienstälteste Coach der Bundesliga. «Er ist eine tägliche Sache. Und er ist ein großes Spiel. Das größte Spiel der Welt.» Und Streich ist mittendrin. Seit zehn Jahren nun schon. Und womöglich bleibt er das auch noch viele weitere Jahre.

Von Christoph Lother und Kristina Puck, dpa