Bestrafter Hamilton wahrt Zuversicht: «Sehr ermutigend»

Mehr als dreieinhalb Stunden nach dem großen Mutmacher von Texas kassierte Lewis Hamilton den nächsten Nackenschlag.

Wegen einer regelwidrigen Bodenplatte an seinem Mercedes strichen die Rennkommissare den zweiten Platz des Rekordweltmeisters beim Formel-1-Rodeo auf der Buckelpiste von Austin aus der Ergebnisliste. Enttäuschend sei das, räumte der 38-Jährige ein. «Aber das schmälert nicht die Fortschritte, die wir dieses Wochenende gemacht haben», beteuerte Hamilton. 

Nur leicht gedämpft war also die Euphorie beim siebenmaligen Champion, der sich noch im Zielraum aufgepumpt mit Zuversicht auf die Brust geklopft hatte. Die schon fast erloschene Hoffnung des Superstars, die Übermacht des Max Verstappen bald brechen zu können, hatte auch über das Urteil der Rennrichter hinaus neue Nahrung erhalten. «Es ist schön, endlich die Früchte der harten Arbeit zu sehen, das ist sehr ermutigend», hatte Hamilton nach dem Podiumsbesuch geschwärmt. 

Fast zwei Jahre schon hat der einstige Dauergewinner nicht mehr die oberste Stufe eines Formel-1-Podests erklimmen dürfen, seit jener kontroversen Niederlage gegen Verstappen im WM-Finale von Abu Dhabi 2021. Der Niederländer hat seitdem 30 der 40 Rennen für sich entschieden, Mercedes dagegen betrieb fast durchgehend Krisenbewältigung.  

Mercesdes kommt Red-Bull-Team näher

In Austin fehlte nun nicht mehr viel für Hamilton, um den Red-Bull-Dominator endlich wieder auf der Strecke zu bezwingen. Ein schlechter Start, eine falsche Boxenstopp-Taktik, etwas zu langsame Reifenwechsel – und trotzdem hatte der Brite im Ziel nur zwei Sekunden Rückstand auf Verstappen. Und eben eine regelwidrige Bodenplatte, die alle Mühen dieses Tages zunichtemachte.

Mercedes räumte den Regelverstoß in einer Anhörung ein. Die extrem holprige Piste und die fehlende Zeit nach dem Sprint am Samstag, das Auto neu einzustellen und zu prüfen, nannten die Teamvertreter als Grund für den Fauxpas. Das gleiche Missgeschick kostete auch Ferrari-Pilot Charles Leclerc seinen sechsten Platz. 

«Andere haben es hinbekommen, wir haben einen Fehler gemacht und es gibt keinen Spielraum in den Regeln. Wir müssen es hinnehmen, daraus lernen und nächstes Wochenende gestärkt zurückkommen», sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Hamilton warf die Disqualifikation auch im Rennen um Platz zwei in der Gesamtwertung wieder zurück. Statt seinen Rückstand auf Verstappen-Kollege Sergio Perez auf 19 Zähler zu reduzieren, liegt der Brite vor den verbleibenden vier Grand Prix nun 39 Punkte hinter dem Mexikaner. 

Teamchef lobt Hamiltons mentale Stärke

Doch aus Rückschlägen weiß Hamilton wie kaum ein anderer, Kraft zu ziehen. Schon zwei Wochen zuvor in Katar steckte der Routinier kurz im emotionalen Loch, als er selbst verschuldet am Start in den Silberpfeil von Teamkollege George Russell gerumpelt und ausgeschieden war. «Ich musste tief in mich gehen, um davon wieder zurückzukommen», sagte Hamilton.

«Er ist sehr gut darin, seine Gefühle zu verstehen und damit umzugehen. Diesmal war er voll da», lobte Teamchef Wolff die mentale Stärke des Altmeisters. Den entscheidenden Schub gab Hamilton das Paket neuer Bauteile, das Mercedes in Texas an die beiden Autos geschraubt hatte. «Der Schritt, den wir diesmal gemacht haben, hat mir mehr Vertrauen gegeben, das Auto in die Kurven zu werfen», erklärte Hamilton.

Weil Verstappen vor ihm auch noch mit Bremsproblemen kämpfte, war der Mercedes-Pilot so nah wie lange nicht an seinem 104. Grand-Prix-Sieg. Für die Macher der Formel 1 wäre eine baldige Wiederauflage des Duells zwischen Triple-Weltmeister Verstappen und Überfigur Hamilton ein Traum. Die sportliche Eintönigkeit an der Spitze könnte auf Dauer den Boom der Rennserie gefährden. 

Von echter Augenhöhe mit Red Bull sieht Boss Wolff Mercedes aber noch ein Stück entfernt. «Man darf nicht vergessen, sie haben wahrscheinlich vor drei Monaten die Entwicklung abgedreht, schauen schon auf das nächste Jahr», sagte der Österreicher. 

Auch wenn der Silberpfeil im Endspurt dieser Saison noch zum Siegerauto werden sollte, wird das Werksteam den W14 am Jahresende einmotten. «Wir verändern das Auto komplett, weil wir den Sprung zu Red Bull schaffen müssen, das schaffen wir nicht mit der Weiterentwicklung dieses Autos», berichtete Wolff. So muss Hamilton hoffen, dass sich die wenige Stunden währenden Glücksgefühle von Texas nicht 2024 endgültig als Sinnestäuschung entpuppen.

Christian Hollmann und Martin Moravec, dpa