Torhüter Gregor Kobel riss energisch die Arme hoch, seine Kollegen umarmten sich ausgiebig. Eigentlich war es für Borussia Dortmund nur ein Pflichtsieg bei einem Abstiegskandidaten, aber die ausgelassene Freude verdeutlichte: Immer mehr glauben die BVB-Profis daran, dass sie im Titelkampf noch lange dabei sein werden.
«Weinen tut keiner», sagte Außenbahnspieler Marius Wolf lächelnd, als er nach der Stimmung beim neuen Spitzenreiter in der Kabine gefragt wurde. Mit dem 1:0 (1:0) bei der TSG 1899 Hoffenheim feierten die Dortmunder den siebten Sieg im siebten Spiel 2023 in der Fußball-Bundesliga und eroberten die Tabellenführung – zumindest für 26 Stunden, ehe der Schlager zwischen dem FC Bayern München und Union Berlin am Sonntag (17.30 Uhr) vorbei ist. «Wir spielen um die Meisterschaft mit, das ist klar», sagte Kobel.
Brandt: «Eine sehr, sehr starke Momentaufnahme»
Torschütze Julian Brandt erklärte die große Freude nach dem Abpfiff: «Es war kein einfaches Spiel, wir haben das Glück ein bisschen strapaziert. Das ist jetzt eine sehr, sehr starke Momentaufnahme – man kann sich das aber schnell auch wieder kaputt machen.» Zumal am Freitag mit RB Leipzig ein Titelrivale nach Dortmund kommt.
Die BVB-Fans sangen schon vom Titel – und BVB-Trainer Edin Terzic dimmte die Begeisterung erst gar nicht herunter, sondern philosophierte bei der Pressekonferenz: «Nicht nur die Fans, sondern jeder Mensch sollte träumen. Weder die Mannschaft noch ich werden fürs Träumen bezahlt. Träumen wird uns nicht helfen, ins nächste Spiel zu gehen und zu gewinnen. Trotzdem werden wir niemand auf dieser Welt verbieten zu träumen.»
Bundestrainer Flick auf der Tribüne
Vor 30.150 Zuschauern im ausverkauften Stadion von Sinsheim – darunter Bundestrainer Hansi Flick – erzielte Brandt (43. Minute) das Tor des Tages. Mit dem Rücken verlängerte der Nationalspieler den scharf getretenen Ball von Marco Reus ins Netz – sein achtes Saisontor und das vierte im vierten Spiel hintereinander.
«Wir sind natürlich sehr, sehr froh über den Sieg heute, aber wir sind noch lange nicht fertig», kündigte Terzic noch an. Eine Titelansage angesichts des Dortmunder Höhenflugs hatte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl schon vor dem Anpfiff verweigert – «weil wir wissen, wo wir herkommen», sagte er im Sky-Interview. «Wenn es irgendwann so weit ist, werden wir uns auch mit dem Thema beschäftigen. Aber noch ist es zu früh.»
Dritte Niederlage für TSG-Coach Matarazzo
Beim Krisenclub aus dem Kraichgau kassierte der neue Trainer Pellegrino Matarazzo seine dritte Niederlage in Serie seit seinem Amtsantritt, auch wenn seine Mannschaft sich stark verbessert zeigte. So mussten die Dortmund einige Male zittern. «Wir haben einfach das zweite Tor vergessen, das müssen wir uns ankreiden», sagte Wolf.
Damit stellte Hoffenheim den Vereinsrekord von zwölf sieglosen Spielen von 2008/2009 ein, als die TSG unter Ralf Rangnick in ihrer Premierensaison im Oberhaus vom ersten Platz abstürzte, und rutschte auf den Relegationsplatz 16 ab. «Ich finde, wir waren konkurrenzfähig», urteilte der starke Torhüter Oliver Baumann zu Recht.
Nach dem Wechsel hofften die Hoffenheimer kurz auf einen Elfmeter: Emre Can hatte Kevin Akpoguma an der Strafraumgrenze berührt und Referee Martin Petersen schaute sich die Szene noch mal am Videoschirm an, gab dann aber Schiedsrichterball. Kurz darauf nahm der Stuttgarter bei einer weiteren VAR-Entscheidung einen Treffer von Wolf (56.) zurück: Nico Schlotterbeck hatte zuvor Ihlas Bebou auf den Fuß getreten.
Matarazzo war mit der Entscheidung in der ersten Szene überhaupt nicht einverstanden: «Er hat ihn getroffen, da brauche ich noch eine gewisse Aufklärung.» Terzic sah es anders. «Natürlich müssen wir über den Schiedsrichter sprechen, weil er sehr mutig war. Ich finde, der Schiedsrichter hat heute eine richtig gute Leistung gezeigt.» Über das annullierte Tor von Wolf beklagte sich der BVB-Coach nicht.