Claudia Pechstein und die Glaskugelfrage

Sie läuft und läuft und läuft – Ausdauerspezialistin Claudia Pechstein beweist auch 31 Jahre nach ihrem Weltcup-Debüt Durchhaltevermögen. Zum Saisonauftakt im norwegischen Stavanger hatte die Berlinerin mit Rang elf im Massenstart demonstriert, dass sie auch mit 50 Jahren noch zur erweiterten Weltspitze im Eisschnelllauf gehört.

«Es hat mich gefreut, mich unter diesen Bedingungen und in meinem Alter im Massenstart fürs Finale qualifizieren und dort an einem Top-Ten-Platz kratzen zu können», sagt sie der Deutschen Presse-Agentur.

Ein Ende ihrer sportlichen Laufbahn rückt zwar näher, ist aber längst nicht klar abgesteckt. Vielmehr verschiebt die fünfmalige Olympiasiegerin ihren Abschied von den Eisbahnen immer wieder in eine undefinierte Zukunft. War zuletzt ihr achter Start bei Olympischen Winterspielen, den sie im Februar in Peking auch noch als Fahnenträgerin der deutschen Mannschaft bei der Eröffnungsfeier in vollen Zügen genoss, Antrieb für tägliche Schufterei im Training, hat sie inzwischen eine neue Motivation gefunden. «Auszuprobieren, wie nahe ich an die neunten Spiele herankommen kann», nennt sie nun ihr Leitmotiv. Die nächsten Winterspiele finden 6. bis 22. Februar 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo statt.

Zweiter Weltcup in Heerenveen

Die Gegenwart heißt aber erst einmal Heerenveen. In der niederländischen Eisschnelllauf-Hochburg wird von diesem Freitag an bis Sonntag der zweite Weltcup ausgetragen. Nach Platz 16 über 3000 Meter in Stavanger hat Pechstein ihren Startplatz in der starken A-Gruppe verloren und läuft dort in der B-Gruppe. Sie freue sich auf eine Riesenstimmung und ein Wiedersehen mit vielen niederländischen Freunden, sagt Pechstein. «Sportlich werde ich wie immer versuchen, mein Bestes zu geben und mich überraschen lassen, was dabei herauskommt», fügt sie an.

Ob ihr die Rückkehr in die Top-Gruppe im Laufe dieses Winters gelingt? «Das ist eine Glaskugelfrage, die niemand mit Gewissheit beantworten kann», erklärt sie skeptisch. Ihre mitunter nicht einmal halb so alten Konkurrentinnen laufen ihr zeitlich weit davon.

Während Felix Rijhnen (Frankfurt/Main) in Stavanger im Massenstart seinen ersten Weltcup-Sieg bejubelte, sind Podiumsplätze wie früher für die Berlinerin scheinbar außer Reichweite. Das weiß sie selbst, ihre Ansprüche sind daher bescheidener. «Vor allem gesund bleiben und für mein Alter eventuell noch den einen oder anderen Glanzpunkt setzen», nennt sie als Ziel. Am erfolgversprechendsten ist der Massenstart-Wettbewerb über 16 Runden mit Zwischensprints. Dort wurde sie in Peking Neunte. «Im Massenstart ist immer alles möglich», sagt auch Bundestrainer Helge Jasch.

Diplomstudium zur Trainerin

Für Claudia Pechstein zählen mittlerweile nicht mehr nur Spitzenplatzierungen als Erfolg. Insbesondere, weil die Bundespolizistin seit geraumer Zeit ein Diplomstudium zur Trainerin absolviert. «Ich muss im Alltag Studium und Training unter einen Hut bringen. Das heißt, die Prioritäten haben sich verschoben», berichtet sie. Dort laufe alles nach Plan und sie rechne mit einem Abschluss in zweieinhalb Jahren.

Nicht absehbar ist hingegen, wann ihr juristischer Kampf im Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen den Eislauf-Weltverband ISU endet. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Sommer ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) von 2016 aufgehoben hatte, kann sie vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) weiter um eine Entschädigung in Millionenhöhe streiten. «Ich hoffe sehr, dass es im ersten Halbjahr 2023 vor dem Oberlandesgericht in München zur Verhandlung kommt und die ISU-Bosse endlich zur Verantwortung gezogen werden für das, was sie mir angetan haben», erklärt sie.

Die fünfmalige Olympiasiegerin war im Februar 2009 von der ISU wegen auffälliger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden. Pechstein hat Doping stets bestritten. Spätere intensive Untersuchungen ermittelten eine vom Vater vererbte Blutanomalie als Grund ihrer erhöhten Werte. Seitdem verklagt die heute 50-Jährige den Weltverband.

Von Martin Kloth, dpa