«Das Böllenfalltor wird brennen»: Darmstadt heiß auf den HSV

Flotte Sprüche oder gar Aufstiegsparolen kommen Rüdiger Fritsch nicht über die Lippen. Dabei hätte der Präsident des SV Darmstadt 98 in diesen Tagen allen Grund dazu.

Der hessische Traditionsverein ist in der 2. Fußball-Bundesliga seit 20 Spielen ungeschlagen und thront vor dem Aufstiegs-Kracher gegen den Verfolger und großen Favoriten Hamburger SV am Samstag (20.30 Uhr/Sky und Sport1) vor allen Konkurrenten an der Tabellenspitze. «Das Rennen ist noch nicht vorbei, deshalb bleiben wir demütig», sagte Fritsch in einem Gespräch der Deutschen Presse-Agentur.

Die Erinnerungen an den Durchmarsch in die Bundesliga vor bald acht Jahren sind bei dem 61-Jährigen zwar immer noch präsent, eignen sich seiner Ansicht nach aber nicht als Blaupause für diese Saison. «Der Aufstieg damals war wie ein Märchen, einfach der Wahnsinn», sagte Fritsch. In dieser Spielzeit komme der sportliche Höhenflug dagegen nicht überraschend: «Wir sind nicht wie Phoenix aus der Asche aufgestiegen, wenn man sich die Platzierungen der vergangenen drei Jahre anschaut.» Allerdings räumte Fritsch auch ein: «Dass es bis dato so gut läuft, war nicht absehbar.» 

Vor dem Duell mit dem HSV hat das Team von Trainer Torsten Lieberknecht vier Punkte mehr auf dem Konto als der Rivale. Der Vorsprung vor dem 1. FC Heidenheim auf dem Relegationsplatz beträgt schon acht Zähler und vor dem SC Paderborn auf dem ersten Nichtaufstiegsrang sogar zehn Punkte. 

«Einen deutlichen Sprung gemacht»

Und doch üben sich die Verantwortlichen in Bescheidenheit. «Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren noch einmal einen deutlichen Sprung gemacht und sind auch ambitioniert unterwegs. Aufstiegsparolen wären aber fehl am Platz», sagte der Sportliche Leiter Carsten Wehlmann. «Bei uns läuft niemand jeden Tag mit der Tabelle herum.»

Dennoch: der Verein hat sich in der Spitzengruppe der 2. Bundesliga etabliert und die Voraussetzungen für den vierten Aufstieg nach 1978, 1981 und 2015 geschaffen. Das altehrwürdige Stadion am Böllenfalltor wurde runderneuert, der Kader klug zusammengestellt und wirtschaftlich mit Augenmaß gearbeitet. 

Man habe die Jahre seit der letzten Bundesliga-Zugehörigkeit genutzt, «um uns in allen Bereichen weiterzuentwickeln. Wir ziehen heute noch Kraft aus dieser Zeit, in der wir eine Wagenburgmentalität entwickelt haben», sagte Fritsch. «Der sportliche Erfolg erleichtert natürlich die Arbeit. Alle im Verein haben eine positive Stimmung.»

Glücksgriff Lieberknecht

Und dann ist da noch Torsten Lieberknecht. Der 49 Jahre alte Fußball-Lehrer, der einen Vertrag bis 2025 besitzt, hat sich für die Lilien als Glücksgriff erwiesen. «Die Dinge, die wir uns erhofft haben, sind voll aufgegangen. Er ist fachlich top und bringt dazu die menschliche Komponente ein. Er lebt mit der Stadt und dem Verein. Wir freuen uns natürlich, dass es so gut funktioniert», sagte Wehlmann. 

Mit seiner Art hat Lieberknecht die Herzen der Fans längst erobert und auch die Mannschaft für sich eingenommen. Der Pfälzer, der einst Eintracht Braunschweig von der dritten in die erste Liga führte, ist der unumstrittene Chef und vermittelt dennoch Nähe und Einfühlungsvermögen. «Der Trainer ist authentisch. So wie er nach außen hin wirkt, ist er auch. Er ist keiner, der eine andere Rolle spielt, wenn die Kameras und Mikrofone angeschaltet sind», lobte Fritsch. 

Damit passe Lieberknecht zum Club, «in dem wir auf der Führungsebene seit zwölf Jahren Kontinuität haben. Die Ruhe und Professionalität in allen Bereichen strahlt aus. Wenn der Trainer dann noch so gut reinpasst, kommen solche Ergebnisse zustande.»

Beim Blick auf die Tabelle reiben sie sich im beschaulichen Darmstadt trotzdem manchmal verwundert die Augen. «Wenn man die wirtschaftliche Substanz des HSV sieht und die Substanz einer Millionenstadt wie Hamburg, sind die grundsätzlichen Rollen eigentlich klar verteilt», sagte Fritsch. Umso größer ist seine Vorfreude auf Samstagabend: «Wir werden uns trotz der großen Personalsorgen dem HSV entgegenstellen. Das Böllenfalltor wird brennen.»

Eric Dobias, dpa