Das Schweigen der Waldseite: Unions Stille im Bochumer Jubel

Rani Khedira kämpfte gegen die Tränen. Christopher Trimmel wirkte total desorientiert. Während sich die Spieler des VfL Bochum zum Jubel-Gruppenfoto vor ihrem Fanblock versammelten, war das Schweigen der Waldseite schlimmer als ein Keulenschlag.

Jene Tribüne mit Kultcharakter, auf der die Treuesten der Treuen stehen und in fast fünf Jahren Bundesliga nach jedem Spiel von Union Berlin, egal wie gut, egal wie schlecht, inbrünstig über ihre unzerbrechliche Liebe zu ihrem Verein gesungen haben. Und jetzt: Stille.

Erst nach einer Ansage von Vorsänger Ali an die konsternierten Profis wurden die obligatorischen Parolen lautstark vorgetragen. Der Zauber der Eisernen ist mit diesen Szenen, die beliebig austauschbar in allen Bundesliga-Stadien in Krisenzeiten vorkommen, verflogen. Das System Union Berlin wirkt nach dem 3:4 (0:3) gegen Bochum ziemlich zerbrechlich. Der Vorsprung auf den Relegationsplatz ist nach dem 1:1 des FSV Mainz 05 in Heidenheim auf einen Punkt geschmolzen, der direkte Abstieg ist noch eine Drohkulisse. 

«Man hat gesehen, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Mit den Tugenden, die uns stark gemacht haben», sagte Khedira. Gemeinsam? Die entscheidende Frage, die gleich zum Wochenanfang in Berlin-Köpenick geklärt werden muss, ist, ob Trainer Nenad Bjelica noch dazugehören wird, wenn in den Spielen beim 1. FC Köln und gegen den SC Freiburg die notwendigen Punkte zum Verbleib in der Fußball-Bundesliga geholt werden müssen. «Da bin ich der falsche Ansprechpartner», wiegelte Khedira ab. 

Khedira: «Selbst den Stecker gezogen»

Der richtige Ansprechpartner ist Präsident Dirk Zingler und der hatte mit seinem DAZN-Interview kurz vor dem Anpfiff sehr bemüht gewirkt, mit einer Medienschelte und einem trotzigen Treuebekenntnis zum Coach, Ruhe hereinzubringen. Die war mit dem Pausenpfiff eh wieder dahin. 0:3. So hatte es auch im ersten Bundesliga-Spiel der Eisernen im August 2019 gegen RB Leipzig gestanden. Damals war es eine Lehrstunde. Diesmal war es eine Demontage. «Vielleicht haben wir da ein Stück weit überdreht, selbst den Stecker gezogen. Keine Erklärung», sagte Khedira. Und fügte an: «Glatte Sechs.» 

Bjelica selbst wirkte so monoton wie immer. Die Spielanalyse eine Abhandlung der offensichtlichen Ereignisse, der Ausblick hart an der Kante zu Durchhalteparolen. Er glaube an seine Mannschaft, sagte er. Die Frage ist aber, ob die Mannschaft noch an ihn glaubt. Längst schreibt der Boulevard, dass Marie-Louise Eta, die im November nach der Trennung von Urs Fischer mit Marco Grote schon einmal an der Seitenlinie stand, jetzt übernehmen könnte. Zingler wird schnell Antworten geben müssen, zumal Geschäftsführer Oliver Ruhnert nicht mehr präsent wirkt.  

Wittek mit dem Doppelpack

Die Sorgen des Bochumer Trainers Heiko Butscher nahmen sich im Vergleich geringfügig aus. Warum sein Team wie beim 3:2 gegen Hoffenheim nach einer 3:0-Führung wieder in Bedrängnis kam, müsse man natürlich analysieren. Aber die Bochumer Festlaune bei drei Punkten Vorsprung auf den Relegationsrang und definitiv ausreichendem Polster auf die direkten Abstiegsränge war verständlich. Den Klassenerhalt ausgerechnet am Sonntag gegen Meister Bayer Leverkusen perfekt zu machen, wäre ein weiterer Coup. 

Maximilian Wittek (16./31. Minute), Keven Schlotterbeck (37.) und Philipp Hofmann (70.) erzielten am Sonntag im mit 22 012 Zuschauern ausverkauften Stadion an der Alten Försterei die Tore für die erleichterten Gäste. «Wir haben heute einen großen Schritt gemacht. Wir haben noch zwei schwere Spiele vor der Brust. Aber wir wollen die Liga halten, alles andere zählt nicht», sagte Wittek. Yorbe Vertessen (59.), Chris Bedia (62.) mit seinem ersten Bundesliga-Tor und Benedict Hollerbach (74.) sorgten für letztlich wertlose Momente der Berliner Hoffnung.

Von Arne Richter, dpa